Strafverfolger können Beschuldigte in Haft nehmen, ihre Telefone abhören, Bankverbindungen überwachen, Zimmer verwanzen, verdeckte Ermittler einsetzen und seit dem 1. März 2018 sogar Spähprogramme in Computer einschleusen – sogenannte Trojaner. Damit sie in ihrem Ermittlungseifer nicht überborden, müssen Richter – die so genannten Zwangsmassnahmenrichter – solche Massnahmen bewilligen.
Eine Recherche von SRF Data und der Rundschau zeigt nun aber erstmals: Im Jahr 2017 hiessen Zwangsmassnahmengerichte 97 Prozent aller Anträge von Strafverfolgern gut. Von über 9000 Anträgen wurden nur rund 250 abgewiesen.
Das zeigt die Auswertung von 18 Kantonen, die über statistische Daten zum Thema verfügen – darunter Bern und Genf, wo die Gutheissungsquote über 98 Prozent beträgt. «Diese Zahl ist höchst erstaunlich››, meint der Zürcher Rechtsprofessor Urs Saxer. «Man hat fast den Eindruck, dass die Gerichte alle Anträge durchwirken. Da besteht ganz grosser Erklärungsbedarf.»
Richterliche Kontrolle ein «Feigenblatt››
Die Zahl ist schwer zu deuten: Arbeiten die Strafverfolger sehr gut und halten sich ans Gesetz, so dass die Richter kaum einschreiten müssen? Oder winken Richter die Anträge der Staatsanwälte mehr oder weniger unbesehen durch?
«Bei geheimen Zwangsmassnahmen ist die richterliche Kontrolle eher ein Feigenblatt, weil nicht beide Seiten angehört werden können.» Das sagt Bundesrichter Niklaus Oberholzer. Als ehemaliger Präsident der St. Galler Anklagekammer hat er zehn Jahre lang selbst Anträge geprüft, wenn Strafverfolger Telefone überwachen lassen wollten.
Seine Erfahrung ist ernüchternd: «Man kann gar nicht vertieft beurteilen, ob ein Antrag gerechtfertigt ist, weil es schnell gehen muss und die Akten nur vom Staatsanwalt stammen.» Der Beschuldigte kann – anders als bei herkömmlichen Gerichtsverfahren – nichts dazu sagen.
So verkomme der Richter zum Notar, der die von den Strafverfolgern getroffenen Entscheide letztlich nur noch beurkunde. Deshalb ist es gemäss Oberholzer Augenwischerei, neue geheime Überwachungsmassnahmen wie etwa Computertrojaner damit zu begründen, dass Richter diese überprüfen und billigen müssten.
«Wir prüfen jede Massnahme genau»
«Wir winken nicht alle Anträge einfach durch», entgegnet Jürg Zinglé, Präsident des Zwangsmassnahmengerichts des Kantons Bern. «Wir prüfen bei jeder Massnahme genau, ob die gesetzlichen Vorgaben erfüllt sind und ob sie gerechtfertigt ist».
Dass sein Gericht fast hundert Prozent aller Zwangsmassnahmen genehmigt, erklärt Zinglé damit, dass die Strafverfolger nur in klaren Fällen Antrag stellen. «Staatsanwälte sind zurückhaltend mit solchen Mitteln, weil diese viel Arbeit verursachen.»
Mitarbeit: Timo Grossenbacher.