SRF News: Uns liegen Verträge zu rund einem Dutzend Stiftungsprofessuren vor. Wie schätzen Sie deren Inhalt ein?
Markus Müller: Diese Verträge zeigen eine Reihe von subtilen, zum Teil aber auch weniger subtilen Eingriffen in die akademische Freiheit, also in die Unabhängigkeit der Forschung. Es beginnt bereits damit, dass die Geldgeber mitentscheiden, was erforscht werden soll. Sodann nehmen sie Einfluss auf den Verlauf der Forschung. Und in extremen Fällen, wie beispielsweise jenem von Merck Serono, behalten sie sich gar das Recht vor, die Forschungsergebnisse vor der Publikation noch zu ändern. Unglaublich!
Ist das problematisch?
Das ist sehr problematisch. Es lässt jede Sensibilität für die Belange einer unabhängigen Forschung und Lehre, wie sie in Bundesverfassung garantiert ist, vermissen. Diese wird durch solche Deals nämlich massiv beeinträchtigt. Das schadet der Glaubwürdigkeit der Universitäten als unabhängige Forschungs- und Lehreinrichtungen.
Die Universitäten sagen, die Unabhängigkeit sei gewährleistet. Das steht auch in den Verträgen.
Wir dürfen uns mit solchen Erklärungen nicht begnügen. Notwendig sind zusätzlich konkrete Regeln, welche die Unabhängigkeit in der Realität auch wirklich gewährleisten. Solche Regeln fehlen aber bisher weitgehend.
Wie müssten solche Regeln aussehen?
Es braucht ein ganzes Bündel von Regeln, welche umschreiben, was Geldgeber dürfen und was nicht. So wäre ihnen beispielsweise zu untersagen, die Forschungsthemen zu bestimmen. Weiter dürfen sie in keiner Weise auf die Forschungstätigkeit und schon gar nicht auf Forschungsergebnisse einwirken. Auch bei der Wahl des Lehrstuhlinhabers ist ihnen jede Mitwirkung zu verbieten. Und schliesslich müsste durch entsprechende Regeln sichergestellt werden, dass die staatlichen Universitäten von einzelnen Geldgebern nicht als Werbeplattformen missbraucht werden.
Geschieht es oft, dass der Geldgeber bei der Berufung eines Professors mitwirkt?
Ja, die erwähnten Verträge zeigen es. Dem Geldgeber wir nicht selten ein Sitz in der Berufungskommission zugestanden. Zwar oft nur in einer beratenden Funktion, aber man kann sich vorstellen, was passiert, wenn der Geldgeber in der Kommission sitzt, mit dem «Nötli» winkt und sagt, wer ihm recht wäre.
Machen sich die Professoren von solchen Stiftungsprofessuren angreifbar?
Doch, auf jeden Fall. Die Gefahr ist nicht zu unterschätzen, dass die Professoren in eine Abhängigkeit geraten. Wenn sie nämlich nicht die Ergebnisse liefern, die der Geldgeber erwartet, müssen sie unter Umständen mit Konsequenzen rechnen. Vielleicht werden die Forschungsmittel gekürzt oder der Geldgeber beendet sein Engagement.
Heisst das, dass solche Professoren nur noch Forschung machen, die den Firmen genehm ist?
Das ist so sicher übertrieben. Aber es besteht eine Gefahr, dass die Aussicht auf solch einschneidende Konsequenzen den Forscher in seiner Arbeit beeinflusst. Kommt hinzu, dass gegen Aussen der Anschein seiner Käuflichkeit entsteht, was seine Glaubwürdigkeit in Mitleidenschaft zieht.
Was ist eigentlich das Interesse der Geldgeber?
Ich gehe davon aus, dass ihr Interesse zunächst darin besteht, die Forschung in jenen Bereich zu fördern und gegebenenfalls zu beeinflussen, in denen sie eigene wirtschaftliche Verwertungsinteressen verfolgen. Sodann verspricht sich der Geldgeber durch sein Engagement auch einen Imagetransfer. Mit anderen Worten: Er möchte sich von der hohen Glaubwürdigkeit, welche die unabhängigen Universitäten heute noch haben, eine «Scheibe für sich abschneiden».
Solche gesponserte Professuren nehmen tendenziell zu – was bewirkt das bei den Universitäten?
Die Universitäten neigen dazu, vermehrt auf solche Angebote zu achten und ihre Strategie danach auszurichten. Denn sie sind heute zunehmend selber auf der Suche nach Finanzmitteln, weil diese vom Staat nicht mehr in ausreichendem Masse kommen. Die Kultur an den Universitäten hat sich dadurch grundlegend geändert. Universitäten sollen heute Unternehmen sein und selbst Geld erwirtschaften, um die eigene Forschung zu alimentieren. Das verändert das Denken der Forscher. Sie folgen nicht mehr ihrer Neugier, d.h. sie erforschen nicht mehr das, was sie als wesentlich und interessant erachten, sondern vorzugsweise das, was von Geldgebern erwünscht und bezahlt wird.
Was hat das zur Folge?
Die Unabhängigkeit und Glaubwürdigkeit der staatlichen Universitäten steht auf dem Spiel. Damit droht die Gesellschaft eine Einrichtung zu verlieren, die für unabhängige Forschung und unabhängige Ausbildung steht bzw. stehen sollte. Dieser Entwicklung unreflektiert und tatenlos zuzusehen, erscheint mir verantwortungslos.
Das Gespräch führten Julian Schmidli und Marc Meschenmoser.