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UNO-Sicherheitsrat Was kann die Schweiz im UNO-Sicherheitsrat bewegen, Herr Cassis?

Wenn diese Woche Bundespräsident Guy Parmelin und Aussenminister Ignazio Cassis an der UNO-Gipfelwoche teilnehmen, geht es auch darum, für die erstmalige Schweizer Kandidatur für den UNO-Sicherheitsrat zu werben. Natürlich gut-schweizerisch zurückhaltend. Inzwischen hat die Endphase des mehrjährigen Wahlkampfes begonnen. Die Wahl durch die UNO-Generalversammlung findet im Juni 2022 statt – Bundesrat Ignazio Cassis gibt sich im Gespräch zuversichtlich.

Ignazio Cassis

Bundesrat

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Ignazio Cassis ist seit 2017 Bundesrat und Vorsteher des Eidgenössischen Departements für auswärtige Angelegenheiten (EDA). Er wurde 1961 geboren, studierte Humanmedizin, promovierte an der Universität Lausanne und machte einen Master in Public Health. Von 1997 bis 2008 war er Kantonsarzt des Tessins. Cassis war dann während zweier Jahre Präsident der Bundeshausfraktion der Liberalen (FDP), der er seit seiner Wahl in den Nationalrat im Juni 2007 angehört. Von 2015 bis 2017 hatte er das Präsidium der Nationalratskommission für soziale Sicherheit und Gesundheit inne. Cassis war im Jahr 2022 Bundespräsident.

SRF: Momentan gibt es für zwei Sitze im UNO-Sicherheitsrat, die der westlichen Staatengruppe zustehen, erst zwei Kandidaten: die Schweiz und Malta. Was ist Ihr Eindruck nach Ihren Begegnungen hier in New York – hat die Schweiz die Mitgliedschaft im mächtigsten UNO-Gremium bereits auf sicher?

Ignazio Cassis: So würde ich es nicht sagen. Aber die Kandidatur ist auf gutem Weg. Ich spüre viel Goodwill, viel Unterstützung. Ich habe mich auch ausgetauscht mit dem Aussenminister von Malta, das ebenfalls kandidiert. Weil wir bisher die beiden einzigen Kandidaten für zwei freie Sitze sind, sind wir keine Konkurrenten. Aber man weiss nie – bis zum letzten Tag nicht. Und deshalb hören wir nicht auf mit unseren Bemühungen für unsere Kandidatur. 

Unsere Kandidatur verändert unsere Aussenpolitik nicht.

Geht es jetzt für die Schweiz hauptsächlich darum, bloss keine Fehler zu machen – und sich allenfalls bei heiklen Themen bewusst bedeckt zu halten?

Ja, keine Fehler zu machen, das ist wichtig. Bisher lief die Kandidatur tatsächlich fehlerfrei. Das freut mich sehr und ich bin stolz, dass mein Team das so gut hingekriegt hat. Aber trotz Kandidatur: Unsere Aussenpolitik bleibt unsere Aussenpolitik. Wir bewegen uns entlang der aussenpolitischen Strategie des Bundesrates. Unsere Kandidatur verändert diese Aussenpolitik nicht.  

Aber Sie schliessen nicht aus, dass eine zusätzliche Kandidatur kommt und die Wahl doch noch spannend wird?

Nein, überhaupt nicht. Es ist in der Vergangenheit schon mehrfach vorgekommen, dass ein Land seine Kandidatur erst wenige Monate vor der Wahl lancierte. Noch dauert es neun Monate bis zur Wahl. 

Fürchten Sie, dass innenpolitisch, also in der Schweiz selber, noch Widerstand gegen die Kandidatur aufkommt?

Die Möglichkeit besteht. Ich erachte es aber als wenig wahrscheinlich. Zum einen wurde die Sache schon breit diskutiert. Der Bundesrat hat sich 2011 für die Kandidatur entschieden. Das Parlament hat sich danach mehrfach damit befasst. 2015 legte der Bundesrat dann in einem Bericht dar, dass eine Mitgliedschaft im Sicherheitsrat kompatibel ist mit der Neutralität. Und im Moment läuft die Diskussion nicht mehr darüber, ob das Parlament miteinbezogen wird, wenn die Schweiz einmal im Sicherheitsrat ist, sondern wie genau das passieren soll. 

Wie wird die Schweiz in der UNO wahrgenommen?

Als zuverlässige Partnerin. Wir sind bekannt dafür, dass wir tun, was wir sagen und sagen, was wir tun. Das schafft Vertrauen. Wir sind bekannt für unsere guten Dienste. Wir sind bekannt für unsere humanitäre Tradition und Hilfe. Das schafft viel guten Willen. 

Die Schweiz wird in der UNO als zuverlässige Partnerin wahrgenommen.

Sehen Sie die Neutralität für ein Mitgliedsland im UNO-Sicherheitsrat eher als Nachteil oder als Vorteil?

Als Vorteil. Ist einmal klargestellt, dass die Neutralität rechtlich und politisch nicht tangiert wird, dann kann man darauf bauen. UNO-Generalsekretär Antonio Guterres hat mir selber gesagt, er sehe es als klaren Vorteil, wenn neutrale Staaten wie die Schweiz, Österreich oder Schweden im Sicherheitsrat sitzen. Denn sie würden als unparteilich wahrgenommen und könnten daher als Brückenbauer agieren.  

Muss man denn davon ausgehen, dass sich die Schweiz bei heiklen Abstimmungen bei umstrittenen Geschäften häufig der Stimme enthalten wird?    

Wir werden uns weiter an unsere aussenpolitische Strategie halten. Entsprechend werden wir Stellung beziehen, wenn wir das wollen. Und keine Stellung nehmen, wenn wir es als besser erachten, darauf zu verzichten.  

Im UNO-Sicherheitsrat geben ganz klar die fünf Vetomächte den Ton an. Was kann da ein kleines Land und nichtständiges Mitglied überhaupt bewirken?

Vermittlung. Die unterschiedlichsten Menschen und Meinungen zusammenbringen und einen Dialog in Gang setzen. Viel mehr geht nicht. Aber das ist gar nicht so wenig. Wir können sozusagen das Öl im Getriebe des UNO-Sicherheitsrates sein.  

Geht die Schweiz mit einem klaren Programm in den Sicherheitsrat, wollen Sie gewisse Akzente setzen?  

Ja, entlang der Prioritäten, die wir generell für unser Engagement in der UNO haben. Für das eben begonnene UNO-Jahr, das bis nächsten Herbst dauert, sind das etwa die Freiheit im digitalen Raum oder die weltweite Bekämpfung der Corona-Pandemie und den nötigen wirtschaftlichen Wiederaufbau danach. Andere Schweizer Prioritäten im Sicherheitsrat werden wir aus der Aktualität heraus festlegen.

Wir können sozusagen das Öl im Getriebe des UNO-Sicherheitsrates sein.  

Das hängt dann von den gerade aktuellen Konflikten ab. Derzeit sind das etwa Jemen, Libyen oder Syrien – da würden wir wohl Akzente setzen wollen, etwa zugunsten humanitärer Hilfe und zur Durchsetzung und Respektierung des humanitären Völkerrechts.

  Das Gespräch führte Fredy Gsteiger.

Echo der Zeit, 22.9.2021, 18 Uhr ; 

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