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Unsichtbare Prostitution Bordelle an Privatadressen boomen – Polizei ist besorgt

Das Sexgewerbe verschiebt sich von der Öffentlichkeit ins Private. Für die Polizei wird die Arbeit im Milieu schwieriger. Zwangsprostitution und Menschenhandel sind weniger sichtbar. Zwei Frauen erzählen aus ihrem Alltag.

«Die Schweiz hat die Kontrolle verloren», sagt Tiziana (Name geändert). Die Italienerin arbeitet seit über zehn Jahren als Prostituierte. «An jeder Ecke gibt es mittlerweile eine Wohnung für Prostituierte.» Tiziana empfängt ihre Kunden in einem privaten Apartment im Raum Luzern. Kondome und Dildos liegen auf dem Nachttisch bereit. Sie teilt die Wohnung mit anderen Frauen, mietet sich nur für einige Tage ein – und zieht dann wieder weiter.

Tiziana findet die Arbeit in Wohnungen sicherer als in grossen Bordellen. «In einem Club musst du jede Kundschaft nehmen. Manchmal stehen die Freier unter Drogeneinfluss. In einer Wohnung kann ich die Kunden selbst aussuchen», sagt sie. Doch nicht alle Prostituierten in Wohnungen sind so selbständig wie Tiziana. Sie habe selbst schon Fälle von Zwangsprostitution beobachtet. Einmal habe sie mit Ungarinnen die Wohnung geteilt: «Eine von ihnen sagte zu mir: ‹Ich kann nicht sprechen, weil sie meine Familie bedrohen.› Das tat mir so leid.»

80 Prozent der Freier wollen heute Sex ohne Kondom.
Autor: Tiziana Prostituierte

Ihr Blick auf die Sexarbeit hat sich geändert: «Es wird jedes Jahr schlimmer, weil so viele Menschen für die Prostitution in die Schweiz kommen.» Das grössere Angebot auch in den Wohnungen drücke den Preis. «Früher habe ich viel verdient, bis zu 60'000 Franken im Monat. Jetzt verdiene ich noch 5000 Franken, wenn es gut läuft», so Tiziana in der «Rundschau». Der Konkurrenzdruck führe dazu, dass immer mehr Prostituierte auch gefährliche Praktiken anbieten würden. «80 Prozent der Freier wollen heute Sex ohne Kondom», sagt Tiziana.

Polizei: «Frauen arbeiten verdeckt»

Insider schätzen, dass mittlerweile die Hälfte der Sexarbeitenden ihre Dienste im Privaten anbieten – und nicht mehr in öffentlichen Bordellen. Genaue Zahlen fehlen, eine klare Abgrenzung zwischen privaten und öffentlichen Etablissements ist schwierig.

Die Luzerner Polizei ist etwa einmal pro Woche im Milieu unterwegs und versucht Opfer von Menschenhandel zu finden. Simon Steger, Leiter Sexual- und Milieudelikte, bestätigt die Zunahme von Wohnungsbordellen: «Für Frauen, die selbständig arbeiten, sind Privatwohnungen eine gute Sache. Aber Zuhältern bietet sich so die Möglichkeit, Frauen verdeckt arbeiten zu lassen, sodass es für uns schwieriger ist, an die Frauen heranzukommen.» Sein Kollege Roger Tschopp ergänzt: «Am meisten Sorgen macht uns, dass unser Aufwand grösser ist und dass je länger je mehr Frauen in den Untergrund geraten.»

Mehr Sicherheit im Club

Auch Bella arbeitet schon mehrere Jahre als Prostituierte: «Ich brauche schnell viel Geld. Für mich, für meine Familie, für mein Kind.» Bella kommt aus Rumänien. Sie arbeitete ebenfalls in Privatwohnungen, hat aber damit aufgehört. Jetzt arbeitet sie in grossen Bordellen. «Hier fühle ich mich sicherer. Hier habe ich immer jemanden zum Reden.» In einem Club in St. Gallen arbeitet sie zusammen mit 15 anderen Frauen. Die Arbeit beginnt abends und dauert bis tief in die Nacht.

Bella ist mit dem neuen Arbeitsort zufrieden: «Es macht mehr Spass. In Wohnungen ist es manchmal langweilig, wenn du stundenlang alleine bist.» Sie hat im Club einen Alarmknopf, den sie im Notfall drücken kann: «Wenn du oben im Zimmer bist mit deinem Gast und etwas nicht passt, dann drückst du einfach den Alarm und die Leute kommen und helfen dir.»

«Rundschau»

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«Rundschau»

Mehr zum Thema in der «Rundschau» um 20.05 Uhr auf SRF 1.

Rundschau, 22.01.2025, 20:10 Uhr

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