- Arbeitslose, die das Rentenalter erreichen, müssen ihre Schulden bei der Sozialhilfe mit ihrem Pensionskassenguthaben zurückbezahlen.
- Diese umstrittene Praxis in einigen Gemeinden im Kanton Aargau löste Kritik aus. Das Bundesgericht sagt nun, das sei rechtens.
- Den Aargauer Regierungsrat will das kantonale Sozialhilferecht anpassen, um den Zugriff auf die Altersvorsorge zu verbieten.
Wer Sozialhilfeleistungen bezieht, muss diese grundsätzlich zurückzahlen, jedenfalls dann, wenn er oder sie plötzlich zu Geld kommt, beispielsweise durch eine Erbschaft oder einen Lottogewinn.
Im Aargau gehen gewisse Gemeinden jedoch noch weiter. Im Fall, der nun vor Bundesgericht verhandelt wurde, geht es um eine Frau, die neun Jahre lang Sozialhilfe bezog. Ihre Gemeinde in der Nähe von Aarau unterstützte die Sozialhilfebezügerin mit 160'000 Franken.
Bezug auf Drängen der Gemeinde
Kurz bevor sie ihr Pensionsalter erreichte, legte die Gemeinde der Frau nahe, ihr Altersguthaben von 130'000 Franken zu beziehen und die Hälfte dieses Guthabens an die Gemeinde zurückzubezahlen. Mit dem Bezug des Freizügigkeitsguthabens hatte die Frau dann plötzlich Geld.
Und dies ist der umstrittene Punkt: Es handelt sich nicht um einen Lottogewinn oder eine Erbschaft, sondern um Vorsorgekapital, das eigentlich besonderen Schutz geniesst. Die unabhängige Fachstelle für Sozialhilferecht ging für die Frau gegen die Gemeinde vor Gericht. Das Aargauer Verwaltungsgericht gab dann aber der Gemeinde recht.
Urteil für Bedürftige trotzdem eine Erleichterung
Das Bundesgericht weist die Beschwerde der Frau zwar ebenfalls ab, denn im kantonalen Recht seit im Aargau eine solche Rückerstattung möglich. Allerdings dürfen Gemeinden in solchen Fällen nicht die gesamte Sozialhilfe einziehen, sondern – nach den Regeln des Betreibungsrechts – nur maximal eine Jahresrente. Im konkreten Fall wären das 6000 Franken anstatt der geforderten 60'000 Franken.
Darüber hinaus wird die betroffene Frau der Gemeinde wenn überhaupt nur einen Bruchteil dieser 6000 Franken zahlen müssen. Dies, weil bei der Pfändung einer Rente der Notbedarf der betreffenden Person berücksichtigt werden muss. In der Praxis bedeutet das: Bei Freizügigkeitsguthaben von weniger als 200'000 Franken übersteigt eine Jahresrente nur selten den betreibungsrechtlichen Notbedarf. Gepfändet werden darf aber nur, was den Notbedarf übersteigt.
Michael Meier, Experte für Sozialversicherungspflicht an der Universität Zürich, erklärte damals das Grundproblem: «Wenn ich einer Person kurz vor der Pensionierung oder zum Zeitpunkt der Frühpensionierung das Freizügigkeitskapital wegnehme, um Sozialhilfeschulden zu zahlen, dann wird sie nie unabhängig leben können. Sie wird immer abhängig sein – einfach nicht mehr von der Sozialhilfe, sondern von Ergänzungsleistungen, was auch wieder Steuergelder sind.»