Der angeklagte Bauführer einer Sanierungsfirma reagierte sichtlich erleichtert. Der Anwalt der Engadiner Kraftwerke (EKW) sowie der stellvertretende EKW-Direktor hingegen verliessen den Saal des Regionalgerichts Scuol sofort.
Die Bündner Staatsanwaltschaft hatte dem Angeklagten vorgeworfen, 2016 eine heikle Baustelle in der Staumauer Punt dal Gall zu wenig kontrolliert und die Arbeiter ungenügend instruiert zu haben. Bei einer Panne im Innern der Staumauer trat Staub mit hochgiftigem PCB aus. Das war auch für das Gericht heute unbestritten. Die Ursache dafür sei aber nicht eindeutig, ein Leck in der Baustelle nicht bewiesen und andere Gründe für die Panne denkbar.
«Im Zweifel für den Angeklagten»
In der Summe waren die Beweise für das Gericht zu wenig überzeugend. «Alle nicht geklärten und nicht mehr zu klärenden Fakten» würden einen Schuldspruch verunmöglichen, erklärte der vorsitzende Richter Orlando Zegg. Deshalb gelte hier der Grundsatz «im Zweifel für den Angeklagten», was zum Freispruch führe.
Erleichtert über den Entscheid zeigte sich der Anwalt des Bauführers. Wichtig sei vor allem die Feststellung des Gerichts, dass zwar PCB aus der Baustelle ins Innere der Staumauer entwichen sei – es aber unklar sei, ob das PCB auch tatsächlich im Bach Spöl gelandet sei.
Es ist offen, ob die Engadiner Kraftwerke oder die Staatsanwaltschaft das Urteil weiterziehen. Für die EKW geht es um viel Geld. Vor Gericht gestritten wird derzeit in einem anderen Verfahren um die Frage, wer die im Innern der Staumauer aufgelaufenen Kosten – zum Beispiel für Reinigungsarbeiten – von mehreren 100'000 Franken übernimmt. Im Raum stehen aber auch die Sanierungskosten für den Bach Spöl, geschätzte 18 Millionen Franken.
Angeklagt war der Bauführer einer Spezialfirma für Korrosionsschutzarbeiten. Er verantwortete die Baustelle in der Staumauer (siehe Kasten). Die Vorwürfe: Eine mangelhafte Kontrolle der abgedichteten Baustelle sei der Grund für das Leck, zudem habe er die Arbeitenden nicht richtig instruiert. Es sei den Mitarbeitern nicht bewusst gewesen, wie wichtig es sei, dass konstant ein Unterdruck auf der Baustelle herrsche.
Auf der Baustelle war ein Unterdruckmessgerät installiert, das in jener Nacht mehrmals Alarm schlug. Laut der Staatsanwaltschaft wussten die Anwesenden aber nicht, wie sie zu reagieren hatten. Nach mehreren Alarmsignalen habe ein Arbeiter dem Gerät den Stecker gezogen.
Gutachten entlastete Angeklagten
Der Anwalt des Angeklagten argumentierte: Ein solches Messgerät sei nicht Pflicht, deshalb liege auch keine Pflichtverletzung vor. Vor Gericht trat auch ein von der Firma beauftragter Gutachter auf. Er widersprach der Staatsanwaltschaft: «Es gab keine Leckage.» Schuld seien vielmehr die EKW, das Sanierungsprojekt sei schlecht geplant gewesen.
Laut dem Gutachter habe es in der Staumauer wegen einer schlecht gelegten, offenen Wasserleitung einen extremen Luftsog gegeben, was eine Unterdruckbaustelle verunmöglicht habe. Der Anwalt doppelte nach: Der PCB-Staub sei quasi aus der Baustelle gesogen worden. Der Bauführer habe nicht damit rechnen können und sei von den EKW nicht über den starken Luftzug informiert gewesen.