Seit Anfang Jahr ist das Pflanzenschutzmittel Chlorothalonil verboten. Mit diesem Schritt wurden sämtliche Abbaustoffe des Fungizids als relevant eingestuft. Konkret heisst das: Sämtliche Abbaustoffe dürfen den Grenzwert von 0.1 Mikrogramm pro Liter Trinkwasser nicht überschreiten.
Für die Wasserversorger ist diese Tatsache Fluch und Segen zugleich. Einerseits stehen sie ein für einen besseren Ressourcenschutz beim Grund- und Trinkwasser. Andererseits müssen sie die Qualität – auch auf Druck des Bundesamtes für Lebensmittelsicherheit BLV – einhalten.
In den letzten Wochen spitzte sich die Lage zu. Immer mehr Wasserversorger mussten Grundwasserbrunnen schliessen, weil die Grenzwerte überschritten waren. Nun sagen auch Trinkwasserlieferanten, dass sie Grenzwerte nicht mehr einhalten können.
Mittellandkantone besonders betroffen
Wenn der zulässige Höchstwert geringfügig überschritten sei, würden sie das Wasser weiterhin liefern, sagt Andreas Hirt vom Trinkwasserlieferant Energie Service Biel: «Wir können das Lebensmittelgesetz nicht mehr einhalten. Wir müssen Massnahmen suchen, um wieder lebensmittelkonform zu sein.»
An wie vielen Orten die Messwerte des Trinkwassers zu hoch sind, war bislang nicht bekannt. Die «Berner Zeitung» machte nun jedoch publik: Im Kanton Bern ist das Problem grösser als bislang angenommen – rund 178'000 Menschen konsumieren Trinkwasser, welches die Vorgaben nicht erfüllt. In den letzten Tagen und Wochen informierten die Kantone Aargau und Solothurn mit ähnlichen Zahlen. Im Kanton Zürich schätzt der zuständige Kantonschemiker Martin Brunner, dass in rund 50 Prozent der Trinkwasserfassungen die Grenzwerte überschritten sind. Weitere Kantone werden in den nächsten Wochen informieren.
Kantonschemiker Kurt Seiler hat bereits im Sommer 2019 eine breit angelegte Studie zum Thema Chlorothalonil im Trinkwasser gemacht. Schon damals warnte er vor den Abbaustoffen. Dass nun seit Anfang Jahr alle Abbauprodukte des Fungizids als relevant eingestuft sind, verschärfe die Lage so Seiler. Die Kantone seien in der Pflicht, die Wasserversorger und Gemeinden zu unterstützen. Seiler rechnet schweizweit mit bis zu 1 Million Menschen, die Trinkwasser konsumieren, bei welchem die Grenzwerte überschritten sind.
Wasser weiterhin trinkbar
Das Bundesamt für Umwelt Bafu erklärte jüngst gegenüber Radio SRF, dass man in mindestens 12 Kantonen davon ausgeht, dass die zulässigen Grenzwerte in den Grundwasserfassungen überschritten sind. Die Konzentrationen können dabei an einzelnen Messstellen um mehr als Faktor 10 über dem Grenzwert liegen. Die Berner Umweltdirektion teilte heute mit, dass der Genuss von Trinkwasser nach wie vor unbedenklich sei, es bestehe keine erhöhte Gefahr für die Gesundheit. Dennoch, für den Berner Kantonschemiker Otmar Deflorin klar: «Das hier ist ein Weckruf.»
Die Wasserversorger stehen unter Druck. Das Bundesamt für Lebensmittelsicherheit BLV gibt den Versorgern maximal zwei Jahre Zeit, um das belastete Trinkwasser wieder zu säubern. Viele Versorger planen daher, schon jetzt in Aufbereitungsanlagen zu investieren. Doch das kann in die Millionen gehen. Doch Kantonschemiker Otmar Deflorin warnt: «Man muss längerfristig schauen, wie man in Infrastrukturen investieren will. Es muss nachhaltig sein, es darf keine Schnellschüsse geben.»
Schweiz Aktuell, 06.02.2020, 19:00