Wer berühmt werden möchte, muss sich öffentlich inszenieren. Das galt bereits zu Lebzeiten von Isabelle Kaiser vor hundert Jahren. Die Schriftstellerin trat oft in bodenlangen, weissen Gewändern auf oder auch mal verkleidet als Ritter. Sie liess sich regelmässig professionell fotografieren und Autogrammkarten mit ihrem Bild drucken.
«Isabelle Kaiser war berühmt, wie man es heute von Popstars oder Influencerinnen kennt», sagt Journalistin Jana Avanzini, die zur Schriftstellerin recherchiert und ein Buch mit Texten von ihr veröffentlicht hat.
Die Autorin war um 1900 über die Schweiz hinaus bekannt und erhielt sowohl den deutschen Schillerpreis als auch eine Auszeichnung der Académie Française.
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Bild 1 von 2. 1902 liess die berühmte Dichterin und Schriftstellerin Isabelle Kaiser das Haus Ermitage erbauen. Dort lebte sie bis zu ihrem Tod 1925. Bildquelle: ZVG.
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Bild 2 von 2. Heute ist das Wohnhaus von Isabelle Kaiser ein Kulturraum. Zum 100. Todestag widmet das Haus ihr eine Ausstellung. Bildquelle: ZVG.
Geboren wurde Isabelle Kaiser 1866 im Nidwaldner Dorf Beckenried. Kurz darauf zog ihre Familie nach Genf, wo ihr Vater als Politiker und Journalist arbeitete. Ihre Mutter erzog sie und ihre vier Geschwister auf Französisch.
Erst als sie dreizehn war und die Familie in die Zentralschweiz zurückkehrte, lernte sie Deutsch. Bereits im Teenageralter schrieb Isabelle Kaiser einen ersten Roman, mit 22 folgte ein Gedichtband.
Wenn diese weiche, warme Stimme zu klingen beginnt, dann vergisst man die Welt und die Menschen um sich.
Mit ihren deutschen und französischen Werken verdiente sie gutes Geld und war oft auf Lesereise im In- und Ausland. Ein Teilnehmer des Aarauer Dichterabends vom 3. Dezember 1908 schwärmte von ihrem Auftritt: «Wenn diese weiche, warme Stimme zu klingen beginnt in dunklen Lauten, mit einem leisen, pikanten, französischen Akzent, dann vergisst man die Welt und die Menschen um sich und lauscht nur.»
Texte wie das Leben sie schreibt
Isabelle Kaiser beschrieb ihre ländliche Heimat, behandelte aber auch häufig die Themen wie Leid und Tod. Dazu schöpfte sie aus ihrer eigenen Erfahrung. In ihren Teenagerjahren starb zunächst ihr Bruder an Tuberkulose, dann ihr Vater an Pocken. Schliesslich kam auch ihre Lieblingsschwester um, sie starb nach einem Sturz aus dem Fenster.
Hinzu kam heftiger Kummer über ihre erste, unerfüllte Liebe. Auch im späteren Leben blieb sie unverheiratet. Doch einsam sollte man sich ihr Leben nicht vorstellen, findet Journalistin Jana Avanzini: «Sie war bestimmt nicht nur die melancholische, dramatische Figur, als die sie sich inszeniert hat. Sie hatte viele Verehrer und hat selber viele Menschen verehrt.»
Ihre Literatur erinnert mich an ‹Game of Thrones›.
Isabelle Kaiser ist nach ihrem Tod nach und nach in Vergessenheit geraten. Das habe nicht spezifisch mit ihrer Person zu tun, findet Avanzini. Frauen seien nach dem Zweiten Weltkrieg systematisch wieder an den Herd geschickt und als Künstlerinnen nicht ernst genommen worden: «Sogenannte Frauenliteratur wurde im letzten Jahrhundert immer wieder abgewertet.»
Umso wichtiger sei es, die Schriftstellerin heute wieder zu lesen. Isabelle Kaisers über hundert Jahre altes Werk wirke keineswegs verstaubt: «Ihre Literatur erinnert mich an ‹Game of Thrones›. Man muss sich immer darauf einstellen, dass eine Hauptfigur plötzlich ein Messer im Rücken hat», sagt Jana Avanzini.