Die aktuelle Corona-Pandemie erinnert stark an 1918, als die Spanische Grippe die Schweiz und viele Länder der Erde erfasste. Weltweit starben damals bis zu 50 Millionen Menschen – mehr als im Ersten Weltkrieg. In der Schweiz erlagen der Krankheit rund 25'000 Personen.
Zu 1918 gebe es in der aktuellen Pandemie tatsächlich Parallelen, stellt der Historiker Andreas Tscherrig fest – und Unterschiede.
SRF News: Wie gut war das Schweizer Gesundheitswesen 1918 auf die Pandemie der Spanischen Grippe vorbereitet?
Andreas Tscherrig: Schlecht. Schon vor Ausbruch im Sommer und Herbst 1918 gab es in manchen Regionen der Schweiz einen Ärztemangel. Davon betroffen waren vor allem periphere Regionen wie das Wallis. Während der Grippewelle kam das Gesundheitswesen dann sehr schnell an seine Grenzen. Es fehlten Betten und Pflegepersonal, zudem musste man auf Notspitäler ausweichen. Es war ein Kampf, möglichst viele Erkrankte unterzubringen und zu betreuen.
In den vergangenen 100 Jahren gab es riesige Fortschritte in der Medizin. Ist die Situation deshalb bei der jetzigen Pandemie weniger dramatisch als sie es 1918 war?
Wir sind tatsächlich heute in vielen Punkten besser aufgestellt als damals – nicht nur in der Medizin: So können heute viele Leute dank Homeoffice weiter von zu Hause aus arbeiten. Doch auch medizinisch gesehen sind wir heute ein grosses Stück weiter als damals: 1918 gab es noch keine Antibiotika, keine Impfungen und vor allem kannte man den Erreger nicht. Die Erkenntnis, dass es sich um ein Virus handelte, kam erst einige Zeit später.
Erst später fand man heraus, dass es sich um ein Virus handelte.
Andererseits ist es auch heute noch so, dass eine grosse Zahl gleichzeitig Erkrankter das Gesundheitswesen an den Anschlag bringt. Sicher, aber wir sind heute medizinaltechnisch viel besser aufgestellt – etwa, um Lungenentzündungs-Patienten zu beatmen. Beatmungsgeräte gab es damals noch nicht.
Was können wir aus der Krise von 1918 für die aktuelle Situation lernen?
Die Behörden haben jetzt viel schneller und vor allem schweizweit mit massiven Bewegungseinschränkungen reagiert. 1918 unterschieden sich die Massnahmen teilweise von Gemeinde zu Gemeinde. Der Bund gab damals die Verantwortung zur Bekämpfung der Grippe an die Kantone und Gemeinden ab.
1918 waren die Massnahmen teilweise von Gemeinde zu Gemeinde verschieden.
Mit dem Wissen aus der Pandemie von 1918 kann man die jetzt ergriffenen Massnahmen sicher besser nachvollziehen. So wurden auch 1918 die Schulen geschlossen, und wie damals waren die Kinder dann zu Hause und mussten dort – ohne Computer, Handy und TV – beschäftigt werden. Aus dem Beispiel von 1918 weiss man auch, was es bedeutet, wenn die Gottesdienste eingestellt und Begräbnisse eingeschränkt werden, oder was die Aufgaben, die auf Ärzte und Pflegepersonal zukommen, bedeuten. Die Schutzmasken-Diskussion fand ebenfalls schon 1918 statt – wenn auch unter anderen Vorzeichen als heute.
Das Gespräch führte Rafael von Matt.