Orlen ist der grösste osteuropäische Energiekonzern, staatlich kontrolliert, 60'000 Mitarbeitende.
Orlen Trading Switzerland hingegen ist eine kleine Tochterfirma im zweiten Stock eines Bürogebäudes im zugerischen Baar. Aus der Schweiz heraus sollte Orlen Trading für das Mutterhaus mit Öl handeln.
Aber: kaum gegründet, löst Orlen Trading Switzerland einen Skandal aus. Alles beginnt mit der Ernennung des Chefs vor zwei Jahren. Unter der Leitung von Samer A. verschwinden in der Schweiz 330 Millionen Dollar. Das Geld wird laut Recherchen von Reuters an zwei unbekannte Firmen in Dubai überwiesen für einen Tanker mit Öl aus Venezuela. Doch der Tanker kommt nie an, die Millionen sind weg.
Als das Geschäft auffliegt, setzt der Konzern seinen Schweizer CEO Samer A. ab.
«Die Information hat die polnische Öffentlichkeit schockiert. Orlen Trading Switzerland wurde von einem Mann mit einer undurchsichtigen Vergangenheit geleitet, der im Verdacht steht, Kontakte zur Hisbollah zu unterhalten», sagt der polnische Investigativjournalist Jacek Harłukowicz. Er hat den Fall für das Onlinemedium Onet aufgedeckt und seine Dokumente mit SRF Investigativ geteilt. Demnach hat die Sicherheitsabteilung des Energiekonzerns Orlen vor der Anstellung von Samer A. gewarnt. Im internen Bericht wird er beschrieben als: «Libanese, der mit der Hisbollah in Verbindung steht und verdächtigt wird, an der Umgehung der Iran-Sanktionen beteiligt zu sein.»
An einer Medienkonferenz Ende April erklärt die polnische Staatsanwältin: «Ich bestätige, dass die Sicherheitsabteilung Unregelmässigkeiten bei der Gründung der Firma und beim designierten Geschäftsführer festgestellt hat.» Noch laufen die Ermittlungen, bis zu einem rechtskräftigen Urteil gilt die Unschuldsvermutung.
E-Mails mit Terrorverdächtigen
Gemäss den Recherchen von Onet werfen Orlens Sicherheitsleute Samer A. vor, er habe per E-Mail mit Terrorverdächtigen korrespondiert. Zwei geheimdienstnahe Quellen in Israel sagen gegenüber SRF Investigativ, Samer A. sei zwar kein Mitglied, er habe jedoch für die Hisbollah gearbeitet. Einen schriftlichen Beleg dafür präsentiert keine der Quellen.
Trotz der internen Warnung wird Samer A. 2022 Geschäftsführer der Orlen Trading Switzerland. Hans-Jakob Schindler, Senior Director beim Counter Extremism Project (CEP) in Berlin, reagiert erstaunt. Wegen des Reputationsrisikos sei für Grosskonzerne wirklich jede Art von Kontakt zur Hisbollah ein Ausschlusskriterium. «Das ist natürlich hochproblematisch, eine Person einzustellen, von der jetzt schon klar ist, dass es da irgendwelche Verbindungen zu kriminellen Organisationen, Terrororganisationen oder sonstigen dunklen Machenschaften gibt.»
Samer A. wird von Orlen verdächtigt, dass er vor seiner Zeit beim Energiekonzern in den Schmuggel von iranischem Öl verwickelt war. Tatsächlich taucht sein Name auf der Internetseite Wiki-Iran auf, im Leak der türkischen ASB Group, die von den USA sanktioniert ist, weil sie im grossen Stil Öl der iranischen Revolutionsgarden geschmuggelt haben soll.
Verabredung zum Öl-Schmuggel
SRF Investigativ beschafft sich den Datensatz und rekonstruiert das Geschäft aufgrund der geleakten Dokumente. Es beginnt 2019 mit einer Sitzung zwischen Iranern und Türken. «Im Namen Gottes» steht über dem Protokoll – und dann feilschen die Teilnehmer darüber, wer die Herkunftsdokumente für das Öl fälschen, und wer dafür bezahlen soll. Samer A. taucht vier Monate später in dieser Korrespondenz auf.
Dokumente aus dem Leak der ASB Group
Die Türkei kennt, wie die Schweiz, kein Ölembargo gegen den Iran. Aber das rechtfertigt nicht die Fälschung von Dokumenten, wie sie in den Dokumenten mutmasslich vereinbart wird, betont Terrorexperte Hans-Jakob Schindler: «Ein Geschäft hört dann auf legal zu sein, wenn irgendwas illegalerweise umdeklariert wird. Also iranisches Öl ist eben iranisches Öl, und wenn es ausgewiesen wird als irakisches Öl, dann ist es Betrug. Insofern gibt es hier dann schon ein paar sehr deutliche Hinweise für Sanktionsumgehung.»
Der ausgehandelte Vertrag im Leak lautet auf zwei bis vier Millionen Barrel Öl, den die Revolutionsgarden der türkischen ASB Group liefern sollen. Der Wert der Ware: schätzungsweise 200 Millionen Dollar – monatlich. Anfang dieses Jahr hat die US-Justizbehörde die Firma und ihre Leitung wegen des Verdachts auf Sanktionsbruch und Terrorfinanzierung angeklagt. Angeklagt wegen Terrorismus ist insbesondere auch einer der Direktoren.
In einer Mail wird Samer A. beispielsweise ein Vertragsentwurf und eine Zahlungsanweisung im Zusammenhang mit dem iranischen Öl geschickt. Hans-Jakob Schindlers Einordnung dazu: «Jede Firma achtet darauf, dass ihre Verträge nicht irgendwo nach aussen gelangen. Weil eben solche Verträge extrem vertrauliche Dokumente sind. Also wenn da jemand Cc gesetzt ist, dann ist es schon ein sehr starker Hinweis darauf, dass die Person sehr direkt und in sehr verantwortungsvoller Position mit diesem speziellen Geschäft auch etwas zu tun hat.»
Revolutionsgarden unterstützen Hisbollah
Das ist kein Beweis, dass damals beim vereinbarten Verkauf von Öl der iranischen Revolutionsgarden Geld an die Hisbollah geflossen wäre. Experten schätzen aber, dass die iranischen Revolutionsgarden terroristische Aktivitäten von Hisbollah, Hamas und Huthis jährlich mit Hunderten Millionen Dollar finanzieren.
Terrorexperte Schindler warnt deshalb: «Wenn die Revolutionsgarden Geschäfte machen, ist die Möglichkeit, dass Gelder Richtung terroristischer Gruppen führen, sehr, sehr hoch.»
Und wo sind die 330 Millionen Dollar der Orlen Trading Switzerland gelandet? Diese Frage versucht die polnische Staatsanwaltschaft aktuell zu klären.
Samer A. dementiert Hisbollah-Verbindung
Samer A. ist gegenüber SRF Investigativ zu keiner Stellungnahme bereit. Angerufen, kappt er die Leitung sofort. Fragen per WhatsApp und Emails bleiben unbeantwortet. Gegenüber der Financial Times weist er sämtliche Vorwürfe als Märchen zurück. Er habe keine Verbindung zur Hisbollah oder anderen politischen Organisationen.
Der Energiekonzern Orlen erklärt auf Anfrage per E-Mail, man könne den Ermittlungen in Polen nicht vorgreifen. Aber man halte fest, dass Orlen nie ein Embargo gebrochen habe.
Die türkische ASB Group und ihr Direktor sind nicht erreichbar.
Kein Verfahren gegen Orlen in der Schweiz
Die Schweizer Bundesanwaltschaft teilt mit, dass sie derzeit kein Verfahren gegen Orlen führt, zur Person Samer A. lehnt sie jede Auskunft ab. Die polnische Staatsanwaltschaft hat Samer A. sowie ein weiteres ehemaliges Geschäftsleitungsmitglied der Orlen Trading Switzerland zur Verhaftung ausgeschrieben.
«Ich bin sehr überrascht, dass die Schweizer Staatsanwaltschaft nichts zur Klärung unternimmt», sagt der polnische Journalist Jacek Harłukowicz. «Ermittler aus Polen versuchen, Samer A. aufzuspüren, und ich weiss, dass Rechtshilfeersuchen gestellt wurden. Ohne internationale Zusammenarbeit wird es nicht möglich sein, ihn zu fassen und vor Gericht zu stellen.»