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SVP-Präsident Marco Chiesa: «Wir müssen mehr mit Basis sprechen»
Aus Echo der Zeit vom 01.04.2022. Bild: Keystone
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Verluste bei Wahlen Die SVP auf der Suche nach sich selbst

Flügelkämpfe, umstrittene Positionen, eine schwache Spitze: Politologen über den Zustand der grössten Schweizer Partei.

Die vergangenen kantonalen Wahlen in der Waadt und in Bern sowie die Gemeindewahlen in Zürich wurden von vielen als Stimmungstest für die nationalen Wahlen 2023 gesehen. Die SP als grosse Verliererin muss sich Sorgen machen. Aber auch die SVP hat Stimmen eingebüsst. Was sagt das über den Zustand der grössten Partei der Schweiz?

Das Bild der SVP ist vielschichtig: Bei Wahlen in Kantonsregierungen war sie durchaus erfolgreich; bei den Parlamentswahlen musste sie aber übers Ganze gesehen Verluste einstecken. Zudem sagt Politbeobachter Michael Hermann: «Was auffällt, ist das sehr schlechte Abschneiden der SVP in den Agglomerationen, den Kleinstädten, gerade auch bei Exekutivwahlen.»

Mit ihrer Politik gegen die Städte und dem Pflegen des Stadt-Land-Grabens treibt die SVP die Agglomerationen noch weiter von sich weg.
Autor: Michael Hermann Politikwissenschaftler

Noch vor wenigen Jahren wandten sich die Agglomerationen unter dem Eindruck der starken Zuwanderung nach rechts. Doch nun seien diese urbaner geworden, die Menschen wollten einen besseren ÖV, Tagesstrukturen für ihre Kinder, betont Hermann: «Die grosse Herausforderung für die SVP ist, dass sie für diese neu orientierten Agglomerationen nicht wirklich ein Angebot hat. Mit ihrer Politik gegen die Städte und dem Pflegen des Stadt-Land-Grabens treibt sie diese noch weiter von sich weg.»

SVP-T-Shirts liegen bei Delegiertenversammlung
Legende: Eineinhalb Jahre vor den eidgenössischen Wahlen fehlt der SVP ein klarer Kurs von Seiten der Parteispitze – und diverse Parteiexponenten machen mit umstrittenen Positionsbezügen von sich reden. Keystone

Früher habe die Partei profitiert, wenn sie sich gegen alle anderen gestellt habe. Heute vertreibe sie mit gewissen Positionsbezügen Wählerinnen und Wähler; mit der Kritik an den Städten etwa, mit der Positionierung in der Coronakrise, und jetzt mit der Putin-Nähe mancher Partei-Exponenten im Ukraine-Krieg, erklärt Hermann: «Mit ihren Positionierungen gesellt sie sich häufig zu extremen Gruppierungen wie den ‹Freiheitstrychlern› oder jetzt auch in die Nähe von Putin. Damit kann sie in der konservativen Mitte der Gesellschaft nicht wirklich Sympathien holen.»

Die Partei wirkt unter Marco Chiesa orientierungslos.
Autor: Claude Longchamp Politikwissenschaftler

Das unterstreicht auch Politwissenschaftler Claude Longchamp: «Man macht der SVP heute offen den Vorwurf, sie würde Oligarchen unterstützen und hätte während Jahren für sie das Terrain geebnet. Man macht ihr den Vorwurf, sie sei eine Putin-Versteher-Partei.»

Longchamp geht sogar noch weiter: Er stellt die Positionierung mancher SVP-Exponenten im Ukraine-Krieg und das unbeirrte Festhalten auch an einer traditionellen Neutralitätspolitik in den Kontext gewisser wirtschaftlicher Interessen, dass Oligarchen ihr Vermögen in der Schweiz deponieren. Und er sagt: «Heute merkt man, dass diese Interessenvertretung – mitunter auch für ausländische Interessen in der Schweiz – bei der SVP sehr gut verankert ist. Für eine Partei, die sich sehr national oder vielleicht sogar nationalistisch profiliert hat, ist das ein doppeltes Handicap.»

Es ist Gift für eine Partei im Hinblick auf kommende Wahlen, wenn sie nicht geschlossen auftreten kann.
Autor: Adrian Vatter Politikwissenschaftler

Allerdings haben die Coronakrise und der Ukraine-Krieg parteiintern durchaus zu Konflikten geführt. Nicht alle waren und sind einverstanden mit der dominierenden Haltung. So sagt Adrian Vatter, Politologe an der Uni Bern: «Wir sehen heute Flügelkämpfe. Teilweise widersprechen sich die Vertreterinnen und Vertreter der SVP. Es ist Gift für eine Partei im Hinblick auf kommende Wahlen, wenn sie nicht geschlossen auftreten kann.»

Damit richtet sich der Blick auf die Parteispitze. Denn es wäre ihre Aufgabe, die Partei auf Kurs zu bringen. Nochmals Longchamp: «Die Partei wirkt unter Marco Chiesa orientierungslos. Seine Leutnants bestimmen die Sichtweise auf die Partei und tragen die Projekte nach aussen. Er selber ist sehr wenig präsent, insbesondere in der deutschsprachigen Schweiz. Das schadet der Partei.»

Fazit: eine schwache Spitze, Flügelkämpfe und Positionierungen, die der Partei schadeten.

Haben Sie Verständnis für Putin, Herr Chiesa?

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Legende: SVP-Präsident Marco Chiesa. Keystone

SRF News: Der Politologe Claude Longchamp sagt, Sie seien nicht präsent. Das haben Sie seit Beginn Ihrer Amtszeit als SVP-Präsident schon oft gehört. Es geht dabei um die Grundsatzfrage: Sind Sie der richtige Mann an der Spitze der SVP?

Marco Chiesa: Unbedingt. Als Parteipräsident bin ich in den Kantonen unterwegs. Das ist eine Basisarbeit, die nicht in den Schlagzeilen landet.

Zum Ukraine-Krieg gibt es in der SVP verschiedene Positionierungen. Es gibt diejenigen, die Verständnis für Putin haben. Dann diejenigen, die ihn kritisieren. Haben Sie Verständnis für Putin?

Das angebliche Verständnis für Putin in der SVP ist eine böswillige Unterstellung der Medien. Die Haltung der SVP Schweiz ist klar: Wir verurteilen Putins Krieg gegen die Ukraine. Wir haben es mit einer brutalen Aggression gegen einen souveränen Staat zu tun. Umso mehr muss das Leiden der einfachen Bevölkerung ein Ende haben. Dafür braucht es aber unbedingt Friedensverhandlungen. Es ist bedauerlich, dass der Bundesrat unter dem Druck des Auslands eingebrochen ist und die Schweiz ihre neutrale Position als Vermittlerin nicht mehr einbringen kann.

Sie sagen, das sei eine böswillige Unterstellung der Medien. Aber es gibt prominente Exponenten Ihrer Partei, die Verständnis für Putin geäussert haben. Das können Sie nicht wegdiskutieren. Schadet das der SVP nicht?

Alle verurteilen diese Aggression. Verständnis heisst nicht rechtfertigen, sondern die Lage zu analysieren. Was Putin getan hat, ist nicht zu rechtfertigen.

Die SVP verliert in Städten und auch in Agglomerationen Wählerinnen und Wähler. War die Kritik an den Städten nicht ein Fehler?

Wir haben ein wichtiges Problem angesprochen. Das ist immer unangenehm. Das haben wir schon beim Sozialmissbrauch oder der Kriminalität von nicht integrierten Ausländern gesehen. Der Vorgang ist immer der gleiche: Es wird auf uns eingeprügelt – und am Ende gibt man uns indirekt recht.

Wenn Sie trotzdem verlieren, haben Sie vielleicht einen Fehler gemacht.

Wir haben auch viele Erfolge gehabt, zum Beispiel beim CO2-Gesetz, der Burka-Initiative oder den Agrarinitiativen. Wir sind aber durchaus selbstkritisch: Wir werden dort, wo es Verluste gab, die Ursachen analysieren – und dann die Ärmel hochkrempeln.

Sie sagen, dass Sie der Richtige an der Spitze der SVP sind. Trotzdem stellen sich viele die Frage, wer das Sagen in der SVP hat. Sind das Sie oder ist das am Schluss nicht Herrliberg mit Herrn Blocher, der die grossen Linien vorgibt?

Das sind seit Jahren die gleichen Vorwürfe. Wir haben eine breit aufgestellte Parteileitung. Alle Regionen und Berufe sind vertreten. Das macht die Qualität einer Volkspartei aus.

Das Gespräch führte SRF-Bundeshausredaktor Oliver Washington.

Echo der Zeit, 01.04.2022, 18 Uhr

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