Dass Bundesakten einfach verloren gehen, überrasche ihn nicht, sagt Sacha Zala, Präsident der Schweizerischen Gesellschaft für Geschichte. Er beobachte häufig, dass Bundesämter ihre Akten nicht wie vom Gesetz vorgeschrieben dem Bundesarchiv anbieten. «Es gibt Ämter, die Akten horten, und nicht dem Bundesarchiv abgeben. Das Zeug lagert dann einfach so im Keller, bis dann endlich jemand kommt. Und das darf nicht sein.»
Die Ressourcen sind knapp. Und ‹in Dubio pro Zensur›: Es wird einfach alles gesperrt.
Dahinter stecke nicht unbedingt Geheimniskrämerei, es sei eher eine Frage der Prioritäten, sagt Zala. Die Archivierung sei eine Aufgabe, der in der Verwaltung häufig keine angemessene Bedeutung gegeben werde. «Die Ressourcen sind knapp. Und ‹in Dubio pro Zensur›: Es wird einfach alles gesperrt.»
Auch die Akten zur Geheimarmee P-26, die nun nicht mehr auffindbar sind, kamen nie im Bundesarchiv an, sondern sind beim zuständigen Verteidigungsdepartement geblieben.
Mehr Handhabe für das Bundesarchiv
Zala fordert nun, dass die Rolle des Bundesarchivs gestärkt wird. Als Vergleich nennt er die Finanzkontrolle, die oberste Finanzaufsicht des Bundes. Sie berichtet direkt dem Parlament. Auch das Bundesarchiv solle als unabhängige Stelle direkt den zuständigen Organen des Parlaments berichten, fordert Zala.
«So könnte man bei Praktiken wie der Hortung von Akten via Parlament Druck auf die Ämter aufbauen.» Der aktuelle Fall rund um die P-26-Akten zeige, dass öffentlicher Druck durchaus etwas bewirken könne.
Departementsvorsteher in der Pflicht
Der Aktenaustausch zwischen Bundesämtern und dem Bundesarchiv müsse verbessert werden, meint auch Claude Janiak, Ständerat und Präsident der Geschäftsprüfungsdelegation. Dafür brauche es allerdings keine gesetzlichen Anpassungen. «Sie können das natürlich schon anders organisieren. Wenn jemand die Akten nicht anbietet, bleibt das Problem aber dasselbe.»
Beim Nachrichtendienst wurde auch eine Zeit lang nicht alles immer aktiv angeboten. Wir haben interveniert, und jetzt klappt es offensichtlich.
Stattdessen sollten die Aufsichtsbehörden des Parlaments direkt auf die Bundesstellen zugehen, die nicht kooperieren, schlägt Janiak vor. Das habe die Geschäftsprüfungsdelegation in der Vergangenheit auch schon so gemacht. «Beim Nachrichtendienst wurde auch eine Zeit lang nicht alles immer aktiv angeboten. Wir haben interveniert, und jetzt klappt es offensichtlich.» Man müsse die Departementsvorsteherinnen und -vorsteher in die Pflicht nehmen.
Zumindest prüfenswert findet Janiak einen weiteren Vorschlag von Zala: Eine Schlichtungsstelle. Sie könnte zwischen Archiv, Ämtern und Gesuchen von Forschern oder Journalisten vermitteln.
Heute ist die Zusammenarbeit sehr gut. Die Ämter bieten die Unterlagen an. Und dann schaut man zusammen an, was archiviert wird.
Bundesarchiv auf Kooperation angewiesen
Dass Ämter systematisch ihre Akten unterschlagen, diesen Eindruck habe er nicht, sagt der Mediensprecher des Bundesarchivs, Simon Meyer. «Heute ist die Zusammenarbeit sehr gut. Die Ämter bieten die Unterlagen an. Und dann schaut man zusammen an, was archiviert wird.»
Das Bundesarchiv führt keine systematische Übersicht über alle Unterlagen des Bundes. Deshalb ist es darauf angewiesen, dass die Verwaltungsstellen ihm die Unterlagen anbieten.
Tatsächlich kenne das Bundesarchiv aber natürlich nur jene Unterlagen, die es aktiv angeboten bekomme. Will ein Bundesamt etwas unter den Tisch fallen lassen, kann das Bundesarchiv nichts dagegen tun.
«Das Bundesarchiv führt keine systematische Übersicht über alle Unterlagen des Bundes. Das wäre vom Aufwand her gar nicht möglich und auch nicht sinnvoll. Deshalb ist es darauf angewiesen, dass die Verwaltungsstellen ihm die Unterlagen anbieten.»
In welche Richtung die politische Aufarbeitung der P-26-Akten auch gehen mag, der aktuelle Fall hat die Forderung nach einer sauberen und verlässlicheren Archivierung neu geweckt. Die Spekulationen darüber, welche Informationen verloren gegangen sind, und wer ein Interesse daran gehabt haben könnte, schiessen nun ins Kraut.
Immerhin: Es gibt einen summarischen Bericht zur Geheimarmee P-26, in dem es ansatzweise Antwort dazu gibt. Und dieser Bericht liegt im Bundesarchiv.
Die Schweizer Geheimarmee P-26
-
Bild 1 von 9. Ab dem Jahr 1979 rekrutierte die Schweizer Armee 400 Personen für die Geheimarmee P-26. Diese hätte aktiv werden sollen, falls die Schweiz von kommunistischen Staaten besetzt worden wäre. Die Firma Consec AG mit Sitz an der Bäumleingasse 2 in Basel diente angeblich zur Ausbildung von Aspiranten der P-26. Bildquelle: Keystone.
-
Bild 2 von 9. In diesem Haus in einem Waldstück beim Areal des Armeefahrzeugparks in Oberburg bei Burgdorf (BE) befand sich die Kommandozentrale der enttarnten Geheimarmee P-26. Bildquelle: Keystone.
-
Bild 3 von 9. Eine unterirdische Bunkeranlage bei Gstaad im Berner Oberland war einer der Stützpunkte, die der Geheimorganisation als Waffenlager und Ausbildungsanlage diente (Bild aufgenommen am 7. Dezember 1990 anlässlich einer Presseführung). Bildquelle: Keystone.
-
Bild 4 von 9. Im Bunker wurden die Mitglieder der P-26 unter anderem an solchen Arbeitsplätzen ausgebildet. Bildquelle: Keystone.
-
Bild 5 von 9. In der Bunkeranlage war auch Wohnraum vorhanden (Bild aufgenommen am 7. Dezember 1990). Bildquelle: Keystone.
-
Bild 6 von 9. Efrem Cattelan, alias «Rico», hatte die geheime Widerstandsorganisation mit aufgebaut und leitete sie seit 1979. Erst am 7. Dezember 1990 nahm er an einer Medienkonferenz im Bundeshaus in Bern erstmals Stellung zur P-26, nachdem diese kurz nach dem Fall der Berliner Mauer enttarnt wurde. Bildquelle: Keystone.
-
Bild 7 von 9. An dieser Medienkonferenz im Dezember 1990 versicherte Generalstabschef Heinz Häsler (links), dass die Organisation P-26 definitiv aufgelöst werde. Bildquelle: Keystone.
-
Bild 8 von 9. In der Folge des Skandals wurde eine Parlamentarische Untersuchungskommission des Eidg. Militärdepartements (kurz: PUK EMD) eingesetzt. Nationalrat Werner Carobbio (links) und Ständerat Carlo Schmid (rechts) informieren im November 1990 über die Ergebnisse. Bildquelle: Keystone.
-
Bild 9 von 9. Ein weiterer Bunker, der der P-26 im Jahr 1979 als Treffpunkt und Übungsort diente, steht in Krattigen im Berner Oberland. Er ist als harmlose Scheune getarnt. Bildquelle: Keystone.