- Nach 2015 bekannt gewordenen Vorfällen von Medikamenten-Tests an Psychiatrie-Patienten im Thurgau hat der Aargau seine Geschichte aufgearbeitet.
- Es zeigt sich: Auch an der Psychiatrischen Klinik Königsfelden im Aargau wurden ähnliche Versuche mit Patientinnen und Patienten gemacht.
- Besonders in den Jahren 1950 bis 1990 wurden nicht zugelassene Medikamente an mehreren Hundert Patienten getestet.
- Der Kanton Aargau hat heute den Betroffenen sein Bedauern für das Unrecht ausgedrückt.
Der Aargau hat das Institut für Medizingeschichte der Uni Bern vor einem Jahr damit beauftragt, allfällige Medikamentenversuche im letzten Jahrhundert in der Psychiatrischen Klinik Königsfelden (heute PDAG) zu untersuchen. Der Verdacht hat sich bestätigt. Auch im Aargau wurden Psychiatriepatienten als Versuchspersonen missbraucht. Eine Stichprobe von Krankenakten zwischen 1950 und 1990 zeigt, dass es solche Versuche gab. 830 Akten hat die Uni Bern studiert. Die Archivsituation sei aber nicht überall gut gewesen, heisst es hier.
Getestet wurden 31 Präparate, die zur Zeit der Verschreibung (noch) nicht zugelassen gewesen seien, heisst es in der Untersuchung. Die Psychopharmaka hätten oftmals Nebenwirkungen gehabt. Im Unterschied zum Kanton Thurgau flossen keine Honorare durch die Pharmaindustrie. Aber die Aargauer Klinik erhielt nebst den Medikamenten auch Ausstattungen für die Klinik, zeigt die Studie.
Solche Tests wurden vor allem in der Psychiatrischen Klinik Königsfelden durchgeführt. Es wurden aber auch einzelne Studien in der Kinderpsychiatrie Rüfenach oder in der Spezialfall Stiftung Schürmatt (Betreuung durch Kinder- und Jugendpsychiatrie Kanton Zürich) gemacht. Die Studienautoren gehen über alle Institutionen von mehreren hundert betroffenen Personen aus.
Keine systematische Auswahl der Patienten
Es gebe keine Hinweise darauf, dass bestimmte Patientengruppen bezüglich Alter, sozialer Herkunft und Aufnahmestatus besonders häufig von Medikamentenversuchen betroffen gewesen seien. Zwar seien Betroffene von fürsorgerischen und medizinischen Zwangsmassnahmen in Versuche involviert gewesen. Sie seien jedoch nicht gezielt dafür ausgewählt worden.
Vor den 1980er-Jahren gibt es laut Untersuchung keine schriftlichen Belege dafür, dass die Patientinnen und Patienten umfassend über klinische Versuche informiert wurden und die Möglichkeit hatten, ihr Einverständnis zu geben oder eine Behandlung abzulehnen.
Der Kanton bedaure, dass den Betroffenen Unrecht wiederfahren sei, sagten die Zuständigen vor den Medien. Heute habe man zahlreiche Regelungen, wenn klinische Studie durchgeführt werden soll. Es gibt gesetzliche Vorgaben und es braucht die Bewilligung der Ethikkommission Nordwest- und Zentralschweiz. Arzneimittel müssen zudem durch die Aufsichtsbehörde Swissmedic zugelassen sein.
Wurde auch in Jugendheimen getestet?
Als Folgeprojekt der aktuellen Aufarbeiten schlägt die Universität Bern vor, dass man im Aargau weiterrecherchiert. Wie war die Medikamentenabgabe in der Kinder- und Jugendpsychiatrie? Wie war sie in Einrichtungen wie Jugendheimen? Und wurde in der Justizvollzugsanstalt Lenzburg und weitere Männerheimen um 1970 auch getestet?
Ob das alles untersucht wird, ist noch offen. Man könne sich auch eine schweizweite Studie vorstellen, heisst es im Aargau. Bezahlen soll in diesem Fall der Nationalfonds. Kantonale Studien könnten bei Bedarf durch den Swisslos-Fonds finanziert werden.