Das helvetische Politsystem lebt von der politischen Debatte und von der Beteiligung der Bürgerinnen und Bürger. Beides war dieses Jahr wegen der Coronakrise während Wochen jedoch nicht mehr möglich: Politische Versammlungen und Debatten waren untersagt, weil sie ein zu grosses Ansteckungsrisiko darstellten.
Politik teilweise lahmgelegt
Das Parlament brach im März seine Session ab, um die Ausbreitung des Virus zu bekämpfen. Und zum ersten Mal seit 70 Jahren verschob der Bundesrat sogar einen Abstimmungssonntag, nämlich jenen, der im Mai vorgesehen gewesen wäre. In jener ausserordentlichen Lage war also der schweizerische Politbetrieb weitgehend gelähmt, der Bundesrat regierte per Notrecht.
Vertrauenskrise?
Wie sehr haben diese aussergewöhnlichen Ereignisse das Vertrauen der Schweizerinnen und Schweizer in die Demokratie geschwächt? Das wollte die Larix Foundation wissen, eine Stiftung, die sich (nach eigenen Angaben) für eine freiheitlich zukunftsorientierte Schweiz einsetzt. Sie gab deshalb eine Umfrage bei mehr als 3’000 Schweizerinnen und Schweizern in Auftrag.
Hohe Zufriedenheit
Die Resultate zeigen nun, dass die Coronakrise den Glauben der Bevölkerung ans Schweizer System nicht erschüttert hat: Zwei Drittel der Befragten gaben an, dem Politsystem zu vertrauen, und sogar drei Viertel sind mit dem System zufrieden. Man könne also keinesfalls von einer Demokratiekrise sprechen, hält Politikwissenschaftlerin Tina Freyburg von Uni St. Gallen fest, die die Umfrage im August und September durchgeführt hat.
Internationale Spitze
Damit gehört die Schweizer Bevölkerung weiterhin zur weltweiten Spitzengruppe in Sachen demokratischer Zufriedenheit. Zum Vergleich: Gemäss Eurobarometer zeigten sich im letzten Jahr durchschnittlich fast 60 Prozent der Westeuropäerinnen und -europäer unzufrieden mit der Demokratie ihres Landes.
Helvetische Besonderheiten
Das hohe Vertrauen in die Politik in der Schweiz führt Martin Hartmann, Professor für Philosophie an der Universität Luzern, auf zwei Schweizer Besonderheiten zurück: auf die direkte Demokratie und auf das Milizsystem. Wer mehr Mitsprache habe, sehe sich eher als Teil des Systems und vertraue diesem stärker, so Hartmann. Und das Milizsystem erleichtere die Identifikation mit dem politischen Personal.
Zweifelnde Frauen
Trotz dieser hohen Zufriedenheit mit dem politischen System macht die Umfrage auch negative Aspekte deutlich: So zweifeln gut 40 Prozent der Befragten daran, dass ihre Stimme von der Politik gehört wird. Sie fühlen sich also ungenügend repräsentiert.
Und in dieser Frage zeigt sich zudem ein deutlicher Geschlechterunterschied: So sind Frauen deutlich weniger davon überzeugt, sie könnten in der Politik etwas bewegen, als Männer. Während fast drei Viertel aller Männer glauben, dass sie politisch Einfluss nehmen können, ist dies nur bei gut der Hälfte aller Frauen der Fall.
Noch Aufholbedarf
Auch knapp 50 Jahre nach der Einführung des Frauenstimmrechtes ist das weibliche Geschlecht in den nationalen und kantonalen Regierungen, in den Parlamenten und in den Führungsspitzen der Unternehmen weiterhin in der Minderheit. Und die Frauen fühlen sich von der Politik weniger gehört. – Da bleibt für die Gleichstellung der Geschlechter also noch einige Arbeit.