- Wegen des heissen Sommers ist Heu knapp. Deshalb fressen viele Biokühe seit Monaten konventionelles Futter.
- Die Detailhändler verkaufen diese Milch aber weiterhin als bio.
- Das geht nur mit Sonderbewilligungen.
- «Kassensturz» deckt auf: Noch nie wurden so viele Fütterungsausnahmen gemacht wie im letzten Jahr.
Der Sommer 2018 war der drittheisseste seit Messbeginn. Im Juli fiel gebietsweise nur ein Fünftel der üblichen Niederschlagsmenge. Aufgrund der Trockenheit war vielerorts nur ein Grasschnitt möglich. Die Folge: Futterknappheit.
Für Biobauern ist das fehlende Futter ein grosses Problem. Christian Hinder aus Bischofszell zum Beispiel hat 20 Milchkühe mit Biofutter zu versorgen. Im letzten Winter war das aber nicht mehr möglich: «Wegen der grossen Trockenheit reichte unser Knospenfutter nicht mehr, ich musste von einem Nachbarbetrieb, der konventionell wirtschaftet, zukaufen.» Denn auch andere Biobetriebe konnten ihm nicht aushelfen.
Konventionelles Futter ist gesetzlich erlaubt
Bio-Kühe fressen konventionelles Futter. Und das ganz legal. In der Bioverordnung des Bundes steht:
Bei Futtermittelertragsverlusten, insbesondere auf Grund aussergewöhnlicher Witterungsverhältnisse, darf ein Biobetrieb für einen begrenzten Zeitraum konventionell füttern, wenn er glaubhaft darlegen kann, dass nicht genügend biologisches Futter verfügbar ist.
Christian Hinders Betrieb hat eine solche Ausnahmebewilligung. Wohl ist ihm aber nicht dabei: «Das will man als Biobauer garantiert nicht. Aber es war die letzte mögliche Massnahme, die Verantwortung wahrzunehmen, die man gegenüber den Tieren hat.»
Der Thurgauer Bauer ist nicht allein. «Kassensturz» kennt die neusten Zahlen: Waren es 2017 noch 21 Ausnahmebewilligungen, explodierte die Zahl im Jahr 2018. Gemäss Bio Suisse waren es 800 Betriebe.
Bio-Label trotz normalem Futter
Noch nie haben so viele Biokühe konventionelles Futter gefressen. Was indes kaum jemand weiss: Ihre Milch wird dennoch als bio verkauft. Die Bauern kassieren für Bio-Milch pro Liter 24 Rappen mehr. Und die Milch wird mit entsprechendem Label verkauft. Obwohl Biofutter vom eigenen Hof zu den zentralen Grundsätzen des Bio-Landbaus gehört.
Wieviel normales Futter steckt also in der Bio-Milch? Die beiden Kontrollorgane «Bio Inspecta» und «Bio Test Agro» präzisieren den schwammigen Artikel aus der Bioverordnung: «Für einen begrenzten Zeitraum» heisst: Maximal 20 Prozent des Jahresbedarfs an Futter darf auf einem Biohof konventionell sein.
Schöpft also beispielsweise ein Bio-Bauer mit 20 Kühen den Jahresbedarf komplett aus, füttert er vier Kühe vollständig konventionell. Konsumentinnen und Konsumenten von Bio-Milch haben davon keine Ahnung, denn eine Deklaration fehlt.
Bio Suisse sieht kein Handlungsbedarf
«Kassensturz» konfrontiert die Detailhändler mit dieser Tatsache. Viele sehen keinen unmittelbaren Handlungsbedarf, solange die Richtlinien eingehalten würden. Coop schreibt immerhin, man erwarte von Bio Suisse eine Lösung für künftige Ausnahmesituationen.
Das sagen Hersteller und Detailhändler dazu:
Für Bio Suisse selbst ist Milch von Biokühen auch dann bio, wenn die Kühe konventionelles Futter gefressen haben: «Weder die Bioverordnung noch die Bio-Suisse-Richtlinien verbieten das Ausloben der Milch als biologisch nach einem temporären, teilweisen und bewilligten Einsatz von konventionellem Futter.» Der biologische Futteranteil in der biologischen Milchproduktion habe selbst im Ausnahme-Trockenjahr 2018 immer noch circa 98 Prozent betragen, schreibt Bio Suisse auf Anfrage von «Kassensturz».