«Als Mutter würde ich mir Sorgen machen» – mit dieser besorgniserregenden Aussage in den Tamedia-Zeitungen überraschte heute Morgen Dagmar Rösler die Nation. Wenn sie das sagt, muss man aufhorchen, denn Frau Rösler ist Präsidentin des Dachverbandes der Lehrerinnen und Lehrer. Wenn die oberste Lehrerin den Eltern angesichts des Lehrermangels in den Schulen «Sorgen» nahelegt, dann macht man sich als Mutter oder Vater auch welche.
Nur: Sind Sorgen wegen der Quereinsteiger, welche als Lehrpersonen in die Lücken springen, nötig? Oder sind Quereinsteigerinnen Teil der Lösung? Bei Quereinsteigern sind nicht übermässig Fälle von Überforderung wegen mangelnder Berufsbildung bekannt, auch im Kanton Schaffhausen nicht, wo man schon seit etlichen Jahren auf Quereinsteiger setzt. Und nicht voll qualifiziert sind in der grössten Schulregion – Kanton Zürich – nur 783 Personen von 9678 Lehrkräften*.
Aber Eltern der betroffenen Kinder mögen sich berechtigterweise wundern, wenn eine ehemalige Universitäts-Assistentin vor der Klasse steht, die zwar rechnen und schreiben kann, aber nicht eine vollwertige, pädagogische Ausbildung mitbringt.
Kantone haben Personalmangel verschlafen
Sorgen machen dürften sich Schulbehörden und die politisch Verantwortlichen in den Kantonen. Die beiden wesentlichen Faktoren des Lehrermangels – viele Lehrer kommen ins Pensionsalter, mehr Kinder in die Schulen – hätten die Behörden besser antizipieren können: Beides liess sich voraussehen.
Die Politik habe etwas geschlafen, sagt der zuständige Schaffhauser Regierungsrat gegenüber Radio SRF selbstkritisch. Immerhin.
Dass viele Kantone jeden Sommer in leichter Panik ausgebildete Lehrpersonen herbeisehnen, Quereinsteiger casten, Schulkinder selber Stelleninserate basteln oder in Videos singend nach einer Lehrerin suchen (müssen) – das sollte kein Zustand auf Dauer sein, und doch begleitet er uns seit Jahren.
Dennoch gibt es noch immer (!) keine nationalen Zahlen zum Lehrermangel oder zur Anzahl Quereinsteiger – eine dunkle Seite der zerstückelten Bildungslandschaft. Und ein Unvermögen der kantonalen Ämter oder der Koordination durch die EDK, der Eidgenössischen Erziehungsdirektorenkonferenz.
Immer weniger arbeiten Vollzeit
Sorgen dürfte sich auch der Dachverband der Lehrer und Lehrerinnen machen: Ebenfalls seit Jahren nämlich sinken die Arbeitspensen der voll qualifizierten Lehrpersonen. Heute ist nicht einmal mehr jede dritte Lehrperson Vollzeit als Lehrkraft tätig.
Als Lösungsansatz fordert der Verband seit Jahren unter anderem höhere Löhne, um den Beruf attraktiver zu machen. Dagmar Rösler verwies gestern gegenüber Radio SRF auf Genf, das keinen Lehrermangel kenne – wegen der höchsten Löhne im Land, sagt Rösler.
Nicht erwähnt hat die Verbandspräsidentin, dass Genf auch als einziger Kanton ein Mindestarbeitspensum für Lehrpersonen kennt – nämlich mindestens 50 Prozent. In allen anderen Kantone arbeiten insgesamt 34'685 Lehrpersonen* weniger als 50 % – wären diese alle nach Genfer Modell angestellt, der Lehrermangel wäre möglicherweise vom Tisch.
Was bleibt den Eltern übrig? Zuzuschauen, wie die Politik ein wenig schläft, sich mit Quereinsteigen hilft und wie Lehrerinnen und Lehrer immer weniger arbeiten. Da sind Sorgen tatsächlich angebracht.
* Quelle: Bundesamt für Statistik, Erhebung 2020/21