Rebecca Lüthi schloss 2013 ihre Lehre zur Fachfrau Betreuung (Fabe) ab. Ein paar Jahre arbeitete sie in einer Kindertagesstätte – dann hatte sie genug. «Weil ich im Alter von 25 Jahren kurz vor dem Burnout stand.» Das Problem: Zu wenig qualifiziertes Personal und ein tiefer Lohn von 4200 Franken für eine 100-Prozent-Stelle – mit mehrjähriger Berufserfahrung.
Die Kita, in der Lüthi arbeitete, hielt sich an die kantonalen Vorgaben. Diese geben vor, dass auf sieben Kinder eine ausgebildete Person anwesend sein muss. Aber: Ab dem achten Kind muss zwar eine zweite Person anwesend sein, diese muss aber nicht für die Kinderbetreuung ausgebildet sein. «Das kann auch der Koch oder der Gärtner sein», sagt Lüthi. Die gesamte pädagogische Verantwortung lastete dann auf den Schultern der jungen Fachfrau. Sie kündigte und machte sich als Tagesmutter selbstständig.
Fluktuation ist eine grosse Herausforderung
Kein Einzelfall, sagt Estelle Thomet vom Kita-Dachverband Kibesuisse. «Unsere Mitglieder melden uns, dass die Personalfluktuation eine grosse Herausforderung ist.» Von einem generellen Fachkräftemangel will Thomet nicht sprechen. Es sei aber schwierig, nebst jungen Lehrabgängerinnen auch Personal zu rekrutieren, das über mehr Erfahrung verfüge.
Zum gleichen Schluss kommt Bettina Grubenmann vom Fachbereich Soziale Arbeit an der Fachhochschule St. Gallen. «Es ist nicht so, dass es zu wenig Personal oder gut ausgebildete, junge Nachwuchskräfte gibt.» Aber die Arbeitsbedingungen, der Lohn und die Weiterbildungsmöglichkeit seien für junge Berufsleute nicht sehr ansprechend.
Die Kitas werden grösstenteils durch die Eltern finanziert, zusätzlich bekommen viele Subventionen von Kantonen, Gemeinden oder Arbeitgebern. Ihr finanzieller Spielraum ist sehr beschränkt.
Problematisch seien nicht nur der schlechte Lohn und die stressigen Arbeitstage. Es fehle auch an Perspektiven, so Grubenmann. Die Durchlässigkeit zu höheren Fachschulen sei zwar gegeben, werde aber kaum genutzt. Denn gerade kleine Kitas können nicht auf ihre Mitarbeiterinnen verzichten. Auch ist der Anteil von Personen, die eine Berufsmatur machen, bei den Fabes verhältnismässig tief.
Betroffene schliessen sich zusammen
Rebecca Lüthi kehrte dem Beruf zwar den Rücken, setzt sich aber dennoch für bessere Bedingungen ein. Sie hat sich mit anderen Betroffenen zur Bewegung «Trotzphase» zusammengeschlossen. Sie wollen auf die Arbeitsbedingungen in Kitas aufmerksam machen – etwa auf Twitter mit dem Hashtag #kitaamlimit, mit Demonstrationen und in dem sie das Gespräch mit der Politik und mit Trägerschaften von Kitas suchen, um Verbesserungen zu ermöglichen.
Nur was «Verbesserung» bedeutet, ist politisch sehr umstritten. Linke rufen nach mehr staatlichen Geldern, Bürgerliche setzen eher auf wenig Vorgaben und viel Freiräume für die Kitas. Und dann geht es auch um eine grundsätzliche Frage: Sind Kitas Orte, an denen die Kinder gehütet werden – oder sind es Orte, an denen die Kinder gefördert werden. Auch davon hängt ab, wie die Richtlinien aussehen, für die die Kantone zuständig sind.
Klar ist: Wenn es in den Kitas nicht zu einem flächendeckenden Personalmangel kommen soll, dann müssen mehr Betreuungs-Fachpersonen in ihrem Beruf bleiben.
Rendez-vous, 5.2.2020, 12.30 Uhr