Es sind zwei gestandene Forensiker, die heute vor dem Bezirksgericht Lenzburg ihre Aussagen zum mutmasslichen Täter von Rupperswil gemacht haben. Beide waren nach eigenen Angaben schon je an rund 1000 psychiatrischen Gutachten zu Straftätern beteiligt. Sie kennen menschliche Abgründe.
Und doch sprechen auch diese Gutachter vor Gericht von einem «sehr ungewöhnlichen» oder einem «einmaligen» Fall. Eine «erschreckende, rücksichtslose» Tat, durchgeführt von einem sonst so «spiessig» wirkenden jungen Mann, der im Dorf Rupperswil jahrelang nicht aufgefallen war.
Kein Wunder, dass sich die Menschen im Dorf, die Angehörigen der Opfer, die ganze Schweiz gefragt hat: Was ist das für ein Mensch, wie konnte das passieren? Dieser Prozess – so die Hoffnung vieler – könnte Antworten auf viele dieser Fragen liefern. Er liefert sie. Aber die Antworten sind komplex.
Gestört, aber nicht krank
Der mutmassliche Täter sei nicht krank, sagen beide Gutachter. Sie sprechen von «Persönlichkeitsstörungen», attestieren ihm aber volle Schuldfähigkeit. Sie betonen, dass man pädophile Neigungen nicht «heilen» könne, sagen aber auch, dass andere Pädophile ihre Neigung kontrollierten.
Sie sehen beide eine relativ grosse Rückfallgefahr. Zumindest im Moment. Längerfristig halten sie es beide für möglich, dass eine Therapie erfolgreich sein könnte. Sie wollen sich aber auch nicht darauf festlegen, wann und unter welchen Umständen dieser mutmassliche Vierfachmörder definitiv keine Gefahr mehr darstellt für die Öffentlichkeit.
Lebenslängliche Verwahrung ist vom Tisch
Sicherlich haben sich im Vorfeld dieses Prozesses viele Menschen andere, klarere Antworten gewünscht. Auch, weil es dabei einmal mehr um die politisch umstrittene Frage der Verwahrung geht. Eine «lebenslängliche Verwahrung» ohne Aussicht auf Entlassung wünschen sich nicht zuletzt die Angehörigen der Opfer, das haben deren Anwälte vor Gericht bekräftigt.
Doch die Gutachten der beiden erfahrenen forensischen Psychiater machen eine lebenslängliche Verwahrung de facto unmöglich. Beide müssten sie den Angeklagten als «dauerhaft untherapierbar» bezeichnen, damit das Gericht eine solche Verwahrung aussprechen könnte. Sie tun es aber nicht.
Noch lässt sich nicht sagen, ob der geständige Rupperswiler verurteilt wird und welche Strafen und Massnahmen das Gericht verhängt. Klar ist aber, dass dieser Prozess auch Enttäuschung, vielleicht Wut provozieren könnte. Denn gewisse politische Forderungen kann das Gericht nicht erfüllen.
Ein Strafprozess ist keine politische Debatte. Der Gerichtspräsident betonte schon zu Prozessbeginn, dass er sich ein von «Sachlichkeit und Unabhängigkeit» geprägtes Verfahren wünsche. Auch wenn das «öffentliche Gericht» seine Meinung wohl schon gemacht habe.
Der viel beachtete Prozess liefert sicher noch Diskussionsstoff. Er klärt gewisse Fragen, aber kaum eine abschliessend. Vor allem aber bleibt nach dem ersten Prozesstag dieses Gefühl, das im Zusammenhang mit der Tat von Rupperswil schon immer dominierte: Fassungslosigkeit.