Seit rund zehn Jahren dürfen Grosskunden ihren Strom auf dem freien Markt wählen. Alle anderen nicht. Das verhindere Innovationen, sagt Bundesrätin Doris Leuthard: «Wir haben die Situation, dass 99 Prozent der Kunden keine Wahl haben. Der meist lokale Stromanbieter hat ein Monopol heute.»
Dieses Monopol soll nun aufgebrochen werden. Strombezügerinnen und -bezüger sollen einmal pro Jahr entscheiden können, ob sie beim lokalen Versorger bleiben oder zu einem anderen Anbieter wechseln wollen.
Erneuerbare Energie in Grundversorgung
Was für Strom der Kunde in der Grundversorgung bezieht, soll reguliert werden, sagt Leuthard. «Er erhält in der Grundversorgung Schweizer Strom, und auch dort zu einem grossen Teil aus erneuerbarer Energie.»
Durch diesen Strommix soll die erneuerbare Energie weiterhin einen Schub erhalten, nachdem die heutigen Fördermassnahmen wegfallen.
In der Tat sieht die Energiestrategie 2050 des Bundes einen Ausbau der erneuerbaren Energie vor. Mit dem vorgeschlagenen Stromversorgungsgesetz werde dieser aber nicht erfolgen, sagt Felix Nipkow von der ökologisch geprägten Schweizerischen Energiestiftung: «Was Bundesrätin Leuthard vorschlägt, reicht nicht, um die Ziele der Energiestrategie 2050 zu erreichen.»
Es brauche ein Fördermodell oder ein Strommarktdesign, das den Ausbau erneuerbarer Energien bewusst fördere, und die Liberalisierung sei dabei sogar eher hinderlich, so Nipkow. Viele Kunden, die heute im Monopolangebot erneuerbare Energie beziehen, könnten abspringen und vermehrt billigeren Importstrom aus Kohlekraftwerken beziehen, fürchtet er. Es brauche weiterhin Anreize wie garantierte Preise, um in erneuerbare Energien zu investieren.
Gegner und Befürworter beim Dachverband
Nicht nur ökologische Kreise, auch der Verband Schweizerischer Stromunternehmungen ist nicht zufrieden mit dem neuen Gesetz. Denn innerhalb der Branche ist man in der Frage der vollständigen Liberalisierung uneins, wie Direktor Michael Frank erklärt: «Wie es ab und zu in der Politik der Fall ist, sind die Meinungen geteilt. Die einen sind dafür, die anderen dagegen.»
Der Branchenverband fordert Investitionshilfen für Grosskraftwerke, um die Versorgung zu gewährleisten. Der Bundesrat schlägt aber einzig eine Speicherreserve vor, damit die Stromversorger die Stauseen nicht ganz leeren.
Das genüge nicht, kritisiert der Dachverband der Stromkonzerne: «Wir müssen die Rahmenbedingungen für Investitionen in inländische Produktionsanlagen verbessern, damit die zunehmende Importabhängigkeit gerade im Winter verringert werden kann.» Der Bundesrat argumentiert hingegen, dass die Stromkonzerne inzwischen wieder Gewinne erwirtschafteten und diese Investitionen somit selber tätigen könnten.
Was Bundesrätin Leuthard vorschlägt, reicht nicht, um die Ziele der Energiestrategie 2050 zu erreichen.
Bereits vor vier Jahren wollte Leuthard den Strommarkt ganz liberalisieren, vertagte diesen Schritt aber, weil der politische Rückhalt fehlte. Auch heute bleiben positive Reaktionen aus: Kritik kommt von der SP, den Grünen und den Gewerkschaften, die anderen Parteien haben noch nicht Position bezogen – die Vernehmlassung dauert bis Ende Januar. Es ist somit keineswegs sicher, dass der neue Anlauf zur vollständigen Strommarktliberalisierung führen wird.