LSD. Ein Kürzel, das vermutlich allen geläufig ist. Die drei Buchstaben lösen Assoziationen zu Halluzinationen, Horrortrips oder Hippies aus, ohne dabei richtig an Schärfe zu gewinnen. Ob es an den behördlichen Drogenwarnungen liegt oder an Medienberichten zu Überdosierungen – dem Lysergsäurediäthylamid (LSD) haftet bis heute etwas Unberechenbares an.
Sorgenkind und Wunderdroge
Selbst die Entdeckung seiner halluzinogenen Wirkung kann dem Zufall zugeschrieben werden. Als der Chemiker Albert Hofmann im April vor 75 Jahren für seinen Arbeitgeber Sandoz das LSD aus dem hochgiftigen Mutterkorn synthetisiert, nimmt er etwas von dem Wirkstoff durch die Haut auf und erlebt seinen ersten Trip.
Neugierig geworden, unternimmt Hofmann drei Tage später einen ersten «kontrollierten» Selbstversuch. Kurz nach der Einnahme befällt ihn Schwindel und ein Angstgefühl. Hofmann leidet unter Sehstörungen, Lähmungen und Lachreiz. Er bittet seine Laborantin, ihn mit dem Velo nach Hause zu begleiten. «Alles in meinem Gesichtsfeld schwankte und war verzerrt wie in einem gekrümmten Spiegel. Auch hatte ich das Gefühl, mit dem Fahrrad nicht vom Fleck zu kommen», hält der Chemiker in einem Protokoll fest. Die Laborantin erinnert sich dagegen an eine temporeiche Velofahrt durch Basel.
Zuhause angekommen, setzt bei Hofmann die eigentliche, unangenehme Erfahrung ein: «Die vertrauten Gegenstände nahmen groteske, meist bedrohliche Formen an. Die Nachbarsfrau […] war nicht mehr Frau R., sondern eine bösartige, heimtückische Hexe mit einer farbigen Fratze.» Erst Stunden später, als der Rausch ausklingt, kann er das «unerhörte Farben- und Formenspiel» geniessen. Für Hofmann bleibt LSD erschreckend und faszinierend zugleich. Im Buch «LSD – mein Sorgenkind» verarbeitet er später seine ambivalente Beziehung zu dem Halluzinogen.
Kultstatus für einen Chemiker
Die sonderbare Fahrt des Chemikers nach Hause bietet später reichlich Stoff für die Mythenbildung und wird von LSD-Jüngern bis heute als «Bicycle Day» gefeiert. Der bescheidene Wissenschaftler Hofmann erfährt Kultstatus wie ein Popstar. Eine Verehrung, der ihm zeitlebens unangenehm bleibt. Zum 100. Geburtstag überreicht ein Psychedelik-Künstler Hofmann ein Porträt – mit Heiligenschein.
Einmal in den Labors der Pharmakonzerne angekommen, ist die LSD-Revolution nicht mehr aufzuhalten. Durch mehr oder weniger freiwillige Experimente findet das Halluzinogen rasch seinen Weg in breitere Bevölkerungsschichten. So macht LSD-Guru und Psychologie-Professor Timothy Leary die Droge unter dem Schlagwort «turn on, tune in, drop out» berühmt.
Sandoz vermarktet LSD derweil zur Behandlung psychisch Kranker. Nach Auslaufen des Patents schiessen in den frühen 1960er Jahren, vor allem in den USA, illegale LSD-«Küchen» aus dem Boden. Die Zeit ist reif, LSD wird zum Teil eines Lebensgefühls. Seine psychedelische Wirkung färbt auf die Hippie- und Flower-Power-Bewegung ab, findet Ausdruck in der bildenden Kunst und der Musik. Prominente wie Jimmy Hendrix, Cary Grant und Allen Ginsberg suchen mit der «Wunderdroge» nach Erleuchtung und Selbsterkenntnis.
Allerdings zeigt sich bald auch die Kehrseite des unkontrollierten Massenkonsums. Das unberechenbare Element des Moleküls nimmt allmählich Überhand. Es häufen sich Berichte über Psychosen, Selbstmorde oder Verbrechen. LSD wird zur «Satansdroge» erklärt und weltweit verboten, auch zu therapeutischen und Forschungszwecken.
Von der Entdeckung zur Erforschung
LSD steht in der Schweiz seit 1971 auf der Liste der verbotenen psychotropen Stoffe – in guter Gesellschaft mit Cannabis und Meskalin. Das Bundesamt für Gesundheit (BAG) kann jedoch eine Ausnamebewilligung erteilen. Bereits zwischen 1988 und 1993 erhalten fünf Psychiater die Möglichkeit, 170 psychisch kranke Menschen mit LSD und MDMA* zu behandeln. Wegen eines Zwischenfalls mit einer anderen Substanz wird der Versuch allerdings abgebrochen.
Das Bewilligungsprozedere ist aufwändig, denn unzählige Dokumente müssen eingereicht werden und am Ende entscheidet eine Ethikkommission. Das kostet Zeit, Nerven und vor allem Geld. Kein Wunder heisst es beim BAG, Bewilligungen für LSD würden heute wenig nachgefragt.
Erste klinische Studie ab 2008
Einer, der sich dadurch nicht abschrecken liess, ist der Solothurner Psychotherapeut Peter Gasser. «Bis ins Jahr 2000 wurden Anfragen von der Ethikkommission restriktiv gehandhabt. Danach wurden etwa Forschungen zu den Wirkstoffen MDMA oder dem LSD-verwandten Wirkstoff Psilocybin bewilligt», sagt Gasser. Er selber kann Ende der Nullerjahre bei 12 Patienten mit Angststörungen bei lebensbedrohlichen Krankheiten eine LSD-Therapie durchführen.
Mittlerweile gehört die Schweiz mit Studien in Solothurn sowie an den Universitäten Basel und Zürich zu einem der wichtigsten Forschungsstandorte im Bereich der psychotropen Substanzen. Psilocybin oder LSD werden dabei vornehmlich an gesunden Probanden getestet.
Vielversprechende Resultate zur Wirkung
Obwohl LSD eine der besterforschten psychoaktiven Wirkstoffe ist, fordern Therapeuten und Wissenschaftler weitere und breitere Studien. Zum einen müssen frühere Forschungsergebnisse nachgeholt werden, weil in den 1960er Jahren andere methodische Standards galten. Zum anderen sei es wichtig, sagt Bewusstseinsforscher Franz X. Vollenweider, der krankheitsspezifischen und nachhaltigen Wirkung weiter auf den Grund zu gehen.
Zwar haben bereits ältere Studien festgestellt, dass LSD oder Psilocybin die Stimmung über Wochen aufhellen kann, etwa bei Patienten mit Depressionen oder posttraumatischen Störungen. Doch wie viel dieser beobachteten Wirkung eigentlich dem Placebo-Effekt geschuldet ist, konnte die damalige Forschung nicht klären.
«Neuste Studien aus den USA sprechen sogar davon, dass die antidepressive und angstlösende Wirkung bei Krebspatienten nach einer bis zwei Dosen bis zu sechs Monate anhalten kann», sagt der Hirnforscher und Psychiater Vollenweider, der an der Psychiatrischen Universitätsklinik Zürich tätig ist. «Man muss eindeutig mehr klinische Forschung zu den Wirkmechanismen betreiben.»
Jeder Mensch reagiert individuell auf LSD
Psychotherapeut Peter Gasser ist vom therapeutischen Erfolg des Halluzinogens überzeugt. «LSD wirkt dort, wo die Psychotherapie wirkt.» Er hegt Sympathien für die sogenannte transformationsbasierte Therapie. Das Ziel ist dabei nicht wie bisher beispielsweise bei Depressionen eine Veränderung der Hirnchemie durch die tägliche Einnahme von Psychopharmaka. Angestrebt wird eine nachhaltige Veränderung neuronaler Regelkreise durch die ein- oder zweimalige Anwendung von LSD.
Obwohl LSD in Form von illegalen Mikrodosierungen mittlerweile im leistungsgetrimmten Arbeitsalltag angekommen zu sein scheint, liegen auf dem Weg zur legalen Abgabe zu Behandlungszwecken etliche, schwer überwindbare Stolpersteine.
Therapeuten müssen LSD selber erfahren haben.
Neben einer Gesetzesänderung braucht es laut Bewusstseinsforscher Vollenweider zunächst verlässliche Studien mit 500 bis 1000 Patienten. Eine zusätzliche Hürde dürfte hier der enorme finanzielle Aufwand sein. «Sitzungen von zwölf Stunden mit 1000 Patienten sind nicht realistisch.»
Gasser betont zusätzlich, dass «LSD nie zu einem Medikament werden wird, das man nach Hause mitgibt». Der Patient müsse zwingend begleitet werden. Das erfordere wiederum gut ausgebildete Therapeuten, denn jeder Mensch reagiere individuell auf das Halluzinogen. Angst- und Panikattacken seien nicht ausgeschlossen, trotz tiefer Dosierungen, gibt der Psychotherapeut zu bedenken. «Deshalb müssen Therapeuten LSD selber erfahren haben. Das garantiert die Sicherheit und Effizienz bei der Begleitung eines Patienten.»