Im Bündner Bergdorf Brienz sind nicht nur die Einwohnerinnen und Einwohner vom drohenden Felssturz betroffen. Auch der spätgotische Altar der Dorfkirche ist in Gefahr.
Schon während der ersten Evakuierung letztes Jahr brachte ein Fachteam den Altar in Sicherheit. Karolina Soppa, Professorin für Restaurierung und Konservierung an der Berner Hochschule der Künste, und ihre Mitarbeitenden restaurierten den Altar bei dieser Gelegenheit. Nun mussten sie erneut nach Brienz zurückkehren.
«Es war auf jeden Fall anstrengend. Wir haben teilweise bis ein Uhr morgens gearbeitet», sagt Soppa. Denn obwohl ihr Team den Altar von den Restaurationsarbeiten kannte, seien neue Fragen aufgetaucht.
Die Dimensionen der Kisten und Behältnisse, die es brauchte, waren zwar bekannt, aber vielleicht bleiben die Stücke für längere Zeit eingelagert. «Das muss man anders organisieren und man muss andere Materialien wählen.» Etwa, damit keine Schädlinge das jahrhundertealte Lindenholz angreifen.
Altar lagert an geheimem Ort
Die erneute Evakuierung war für die Kunsthistorikerin von der Berner Hochschule der Künste wegen des Zeitdrucks deshalb eine besondere Herausforderung. Für die Lagerung des hundertteiligen Ensembles musste das Team rasch einen geeigneten Ort finden. Es sei wichtig, dass die Teile des Altars in einem passenden Klima gelagert würden.
Wo der Altar nun ist, wissen nur Eingeweihte. Der goldene Flügelaltar war über Jahrhunderte das Juwel der Brienzer Kirche St. Calixtus. Wer dieses Kunstwerk schuf, ist nicht mit Sicherheit bekannt. Es könnte aus dem Umfeld des süddeutschen Meisters Ivo Strigel stammen, der im 15. Jahrhundert in Memmingen lebte.
Strigels spätmittelalterlichen Flügelaltäre waren schon damals Hochkaräter. Seine Kunstwerke wurden klerikale Exportschlager. Einzigartig sei, wie gut das Brienzer Exemplar noch erhalten sei, sagt Professorin Soppa.
Eine behutsame Restaurierung sei deshalb Pflicht gewesen: «Wir haben sehr viel Wert darauf gelegt, nur das Notwendigste zu konservieren.» Der Altar sollte nicht erstrahlen, als sei er neu fertiggestellt worden. Die Patina sollte man ihm ansehen, findet Soppa.
Wichtige Investition für Dorfbevölkerung
Die Brienzerinnen und Brienzer vom 16. Jahrhundert waren schlau. Sie investierten ihr Geld gemeinsam in den Altar, um unabhängig sein zu können von bischöflichen Krediten aus Chur und natürlich für ihr Seelenheil. «Wenn man so etwas hatte, dann konnte man damit auch viel Geld einnehmen», erklärt Soppa.
Die Reisenden auf der Septimerroute von Chur nach Chiavenna liessen in Brienz den einen oder anderen Batzen liegen. Meist nur eine kleine Münze, einen sogenannten Blutzger, oder ein paar Schilling. Für Speis und Trank und göttlichen Beistand.
Dass der Altar dem heiligen Calixtus gewidmet ist, einem Märtyrer-Papst, den man im dritten Jahrhundert der Legende nach in einen Brunnen warf, scheint eine Ironie des Schicksals. Ist es doch das Wasser im Untergrund, welches die Rutschung von Brienz verursacht.
Professorin Karolina Soppa ist froh, dass die Evakuierung des Altars ein zweites Mal gut geklappt hat.