Mitten im Feierabendverkehr hat die Waadtländer Polizei am Montag auf einem Perron am Bahnhof Morges VD drei Schüsse auf einen Mann abgegeben. Dieser Mann hatte die Polizisten zuvor mit einem Messer bedroht. Der Angreifer erlag seinen Verletzungen. Zum Fall wurde eine Untersuchung eingeleitet. Seit dem Montag wird in der Westschweiz diskutiert, ob dieser Polizeieinsatz verhältnismässig war.
Und ein am Mittwoch den Medien zugespieltes Video stellt zudem die Frage, ob die Polizisten dem von den Schüssen getroffenen Mann schneller hätten Hilfe leisten müssen.
Es gab nach den Schüssen einen seltsamen Moment: Der Mann liegt blutend da und die Polizei macht nichts. Die Polizisten schienen wie gelähmt.
Beim Angreifer handelte es sich um einen 37-jährigen Mann aus dem Kanton Zürich. Der Mann litt an psychischen Problemen. Hintergrund auf eine Radikalisierung gebe es nicht, teilte die Waadtländer Polizei mit.
Warum der Mann die Polizisten angegriffen hat, ist deshalb unklar. Aber er rappelte sich nach den ersten Schüssen wieder auf und rannte weiter auf die Polizei zu, wie das am Mittwoch veröffentlichte Video zeigt.
Der Zeuge und Urheber des Videos gab Auskunft im «19:30», dem Pendant zur Tagesschau in der Romandie: «Es gab nach den Schüssen einen seltsamen Moment: Der Mann liegt blutend da und die Polizei macht nichts.» Die Polizisten schienen wie gelähmt.
Erst nach einer Pause kommt ein Pfleger hinzu und versucht, den Mann wiederzubeleben. Für den Zeugen ist das zu spät: «Dass jemand viereinhalb Minuten ohne Hilfe am Boden liegt am Bahnhof Morges in der Schweiz, das scheint unmöglich und deshalb muss man darüber reden.»
Die Waadtländer Polizei hat inzwischen ihre Angaben korrigiert. Am Montag sprach sie von sofortiger Hilfeleistung. Am Mittwoch räumte sie die vier Minuten bis zum ersten Reanimationsversuch ein.
Eine Frage der Verhältnismässigkeit
Eine Hilfeleistung sei grundsätzlich Pflicht, sagt Jonas Weber, Professor für Strafrecht an der Universität Bern. Aber: Der Eindruck der Polizisten sei entscheidend. «Das Spezielle ist meines Erachtens, dass die Person bereits einmal getroffen wurde, wieder aufstand und erneut auf die Polizisten zuging. Das könnte zur Bewertung führen, dass man sagt: Die Polizisten konnten nicht wissen, ob die Person tatsächlich ausser Gefecht gesetzt wurde.»
Bei der Schussabgabe hingegen stelle sich die Frage, ob sie verhältnismässig gewesen sei, sagt Weber: «Es stellt sich die Frage, ob dies das mildeste Mittel war, um diesen Mann zu überwältigen. Es muss vermutlich abgeklärt werden, ob man die Situation nicht auch mit einem Taser hätte beruhigen können.» Die Polizisten mussten das in Sekundenbruchteilen entscheiden. Für sie gilt die Unschuldsvermutung. Der Einsatz am Bahnhof Morges – er gibt zu reden.