Die zweitgrösste Aargauer Gemeinde Wettingen diskutiert seit Jahren über ihre Finanzen. Im November entscheidet das Stimmvolk über einen höheren Steuerfuss: 98 statt 95 Prozent – was im Vergleich mit anderen Städten im Kanton aber immer noch relativ tief ist.
Der grüne Kommunalpolitiker Leo Scherrer spricht deshalb von einer «Sparhysterie». Immer wieder hätten Gemeinderat und Parlament im Budget kommunale Leistungen gekürzt. Diesem Trend wollen 1400 Wettingerinnen und Wettinger entgegenwirken. Sie haben eine linksgrüne Volksinitiative unterzeichnet.
Die Idee: Klare Regeln, wofür Geld ausgegeben wird
Diese verlangt, dass gewisse Aufgaben der Gemeinde unantastbar wären. Ein fixer Prozentsatz der Steuereinnahmen sollte zum Beispiel für Kultur, Musik oder Altersprogramme aufgewendet werden. «Wettingen hat seine Beiträge an das Badener Kurtheater gestrichen oder den Beitrag an die Musikgesellschaft halbiert», sagt Leo Scherrer. Das möchte er künftig verhindern.
Die Initiative ist ein Gegenpunkt zur Sparhysterie.
In der Gemeinde Wohlen im Freiamt steht eine andere Forderung im Raum. Auch hier will der Gemeinderat langfristig die Steuern erhöhen. Ein Kommunalpolitiker der Mitte verlangt per Vorstoss, dass man allfällige Steuererhöhungen aber ausschliesslich für den Schuldenabbau verwenden dürfe. Eine fixe Regelung in der Gemeindeordnung soll Klarheit schaffen.
Die Initiative in Wettingen kommt am 27. November zwar vors Volk. Allerdings in einer abgeschwächten Variante. Denn: Die Forderung des Initiativkomitees ist gar nicht erlaubt. «Im Finanzrecht gibt es ein Zweckbindungsverbot für Steuern», sagt Leo Scherrer. Neu wird in Wettingen deshalb nur über «Richtwerte» für bestimmte Aufgaben abgestimmt.
Der Vorstoss in Wohlen wird vom Gemeinderat ebenfalls abgewiesen. Begründung: «Zweckgebundene Steuerfussprozente sind gemäss den rechtlichen Bestimmungen weder vorgesehen noch möglich». Rechtlich ist die Situation also klar: Eine fixe Zuteilung von Steuergeldern für gewisse Aufgaben ist im Aargau verboten.
Die (umstrittene) Lösung: Richtwerte statt Fixwerte
Die Volksabstimmung in Wettingen könnte trotzdem Signalwirkung haben. Gemäss Angaben der zuständigen Kantonsbehörden wäre es die erste Gemeinde, welche zumindest Richtwerte festlegt für gewisse Aufgaben und Ausgaben. Wenn die Initiative beim Stimmvolk durchkommt, dann könnten Politikerinnen und Politiker in anderen Gemeinden diese Idee kopieren wollen.
Denn sie scheint verlockend: Solche klare Regelungen machen alljährliche Diskussionen bei der Budget-Debatte überflüssig. Gewisse Aufgaben wären quasi immer «im Trockenen». Allerdings: Damit wird der Handlungsspielraum der Politik natürlich stark eingeschränkt.
Wir wollen auch eine attraktive Gemeinde. Aber das ist der falsche Weg.
Aus diesem Grund hat die Mehrheit im Wettinger Parlament die linksgrüne Initiative denn auch abgelehnt. «Wir müssen reagieren können auf technologische, wirtschaftliche oder gesellschaftliche Entwicklungen», sagt der grünliberale Marco Keller. Wenn die Musikgesellschaft plötzlich nicht mehr existiert zum Beispiel, dann braucht sie ja auch keine Gemeindebeiträge mehr.
Es ist also eine grundsätzliche Frage, über die das Stimmvolk in Wettingen am 27. November entscheidet. Vordergründig geht es zwar um Finanzpolitik, um «Sparen oder nicht». Dahinter aber liegt die Frage, wie viel Einfluss Gemeinderegierung und Parlament künftig noch haben sollen.