«Die Sozialdemokratie steckt europaweit in einer Krise», stellt die Politologin Silja Häusermann fest. Die an der Uni Zürich lehrende Professorin hat ein Buch über die SP Schweiz geschrieben.
Die traditionelle Arbeiterschaft sei konservativer geworden. Zwar wählten die Eltern weiterhin SP – doch deren Söhne und Töchter täten das nicht mehr. «Jüngere Leute aus Arbeiterschichten waren gar nie links und können sich nicht vorstellen, je links zu wählen», sagt Häusermann. Das seien Wechsel im Wählerverhalten, die sich über Generationen erstreckten.
Kinder konservativer als die Eltern
Die Kinder hätten eine grundsätzlich konservativere Haltung als ihre Eltern, so Häusermann. Zusätzlich wird die SP-Wählerschaft immer kleiner. «Das Wählerpotenzial der SP sinkt wegen der Deindustrialisierung.» Es komme nun darauf an, wie der Schwund gebremst werden könne und wo die Sozialdemokraten neue Themen besetzen könnten.
Das Wählerpotenzial der SP sinkt wegen der Deindustrialisierung.
«Die SP in der Schweiz ist im Vergleich zu ihren Schwesterparteien in Europa relativ gut aufgestellt. Sie hat weniger Wähleranteile verloren», stellt die Politologin fest. Zudem sei die SP thematisch breiter aufgestellt. «Auf dieser Basis kann sie sich erneuern.»
Die SP betreibe eine pointiert linke Wirtschaftspolitik für die traditionelle Arbeiterschaft, weshalb sich links keine Alternative habe entwickeln können. Auch habe sie im Unterschied zu anderen sozialdemokratischen Parteien schon früh auch Umweltfragen, gesellschaftspolitische Fragen sowie Gleichstellungsanliegen auch der LGBTQ-Minderheit thematisiert.
«Bei den linken Wählerinnen und Wählern sind Themen wie Gleichstellung und Umgang mit Minderheiten sehr wichtig, haben wir festgestellt», sagt Häusermann.
Identitätsthemen sind der Wählerschaft wichtig
Sie widerspricht damit auch einer gängigen Meinung, dass sich die SP zu wenig um ökonomische Fragen kümmere und stattdessen zu stark sogenannte Identitätsthemen bewirtschafte.
Vor allem die politischen Gegner der SP sprächen von «Woke»-Themen und «Partikularinteressen» kleiner Minderheiten und versuchten so, die SP zu spalten. Doch für die linken Wählerinnen und Wähler seien Themen wie Gleichstellung, Migration oder Integration durchaus Mittelschichtthemen und keineswegs Partikularinteressen.
Etwa 40 Prozent der befragten Leute sagen jeweils, dass sie sich vorstellen können, SP zu wählen.
Die SP müsse breit und progressiv aufgestellt sein, wenn sie bei der immer wichtiger werdenden Mittelschicht punkten wolle, sagt Häusermann. Dies vor allem in Konkurrenz zu den Grünen, die bei den Jungen besser ankommen und viele SP-Wähler abgezogen hat.
Wählerpotenzial mit den Grünen teilen
Eine gesellschaftspolitisch konservativere Haltung wäre für die SP denn auch sehr riskant: «Eine links-nationale Strategie der SP – wirtschaftlich links, gesellschaftspolitisch aber eher konservativ – würde in der Schweiz sehr wenig Anklang finden, glaubt die Politologin.
Und so sieht Häusermann die SP relativ gut aufgestellt. Und quasi als weitere Aufmunterung hat sie noch eine Zahl parat: «Etwa 40 Prozent der befragten Leute in der Schweiz sagen jeweils ziemlich konstant, dass sie sich vorstellen können, SP zu wählen.»
Doch längst nicht alle gehen wählen – und vor allem fischen in diesem Teich auch die Grünen: Partner und grosse Konkurrenten der SP.