Schweizer Handgranaten sollen in den Besitz von IS-Terroristen in Syrien gelangt sein, berichtete der Sonntagsblick. Und tatsächlich: Auch der Schweizer Rüstungskonzern Ruag geht davon aus, dass die Handgranaten auf den Bildern aus der Schweiz stammen. Werner Salzmann von der Sicherheitspolitischen Kommission hält das für einen Einzelfall.
SRF News: Fotos im Sonntagsblick zeigen Schweizer Handgranaten in den Händen von Dschihadisten in Syrien. Wie haben sie sich diese beschafft?
Werner Salzmann: Laut meinem Wissensstand hat die Ruag in den Jahren 2003 und 2004 Handgranaten an die Vereinigten Arabischen Emirate geliefert. Diese haben sich nicht an die vertraglichen Auflagen gehalten und einen Teil diesen Handgranaten nach Jordanien verschenkt. Nun sind diese Handgranaten offenbar von dort nach Syrien gelangt. Aber dieser Fall ereignete sich vor der Verschärfung im Bereich der Nichtwiederausfuhrerklärung, die der Bundesrat 2006 angeordnet hatte.
Es können leider immer wieder Handgranaten aus diesen Lieferungen auftauchen.
Seit 2006 schliesst diese Erklärung eine Weitergabe in Form von Schenkungen explizit aus. Diese Handgranaten stammen mutmasslich aus diesem Bestand, und es können leider immer wieder Handgranaten aus diesen Lieferungen auftauchen. Hinzu kommt, dass dieser Fall im Jahr 2012 durch das Seco aufgearbeitet wurde und der Bundesrat danach die Kontrolle bei der Kriegsmaterialausfuhr an die Vereinigten Arabischen Emirate verschärft hat. Somit sollte sich Derartiges nicht wiederholen.
Die Ruag hat sich an die Gesetze gehalten. Ihre Waffen sind trotzdem in fremde Hände geraten. Wie kann die Schweiz dafür sorgen, dass so etwas nicht mehr passiert – egal ob mit Beständen von vor oder nach 2006?
Mit dieser Verschärfung sind Vorfälle wie jener mit den Vereinigten Arabischen Emiraten verhindert worden. Seither ist es nichts Derartiges mehr passiert.
IKRK-Präsident Peter Maurer sagte in der Samstagsrundschau, das IKRK wisse aus zuverlässiger Quelle, dass Schweizer Kriegsmaterial früher oder später in Kriegsgebieten eingesetzt werde. Es bleibt also ein Problem.
Wenn sich Länder, die wir beliefern, nicht an diese Abmachung halten, dürfen wir sie nicht mehr beliefern. Der Bundesrat und die zuständigen Stellen sind beauftragt, das zu kontrollieren. Wir warten noch auf einen Bericht der Eidgenössischen Finanzkontrolle und sind gespannt, was dort herauskommt.
Die Regeln sollen nun wieder gelockert werden. Der Bundesrat will die Ausfuhr von Waffen in Konfliktländer zulassen. Auch Sie haben sich dafür ausgesprochen. Passt das mit dieser Meldung aus Syrien zusammen?
Primär geht es darum, dass die Schweiz nur mit einer gewissen unabhängigen Eigenproduktion die Sicherheit oder die Unabhängigkeit von anderen Staaten im Krisenfall sicherstellen kann. Die vorgeschlagene Verordnungsänderung entspricht dem Kriegsmaterialgesetz, dem Grundsatz, dass die Schweiz eine ihren Bedürfnissen der Landesverteidigung angepasste industrielle Kapazität aufrechterhalten muss.
Das heisst, dass die Schweizer Armee, um die Sicherheit der Bürgerinnen und Bürgern gewährleisten zu können, auf eine funktionstüchtige Technologie- und Industriebasis sowie entsprechendes Fachwissen angewiesen ist. Wenn wir das nicht mehr haben und der Werkplatz Schweiz gefährdet wird, ist die Armee grundsätzlich in Frage gestellt.
Aber Rüstungsgüter für den eigenen Gebrauch zu produzieren oder sie in fragwürdige Länder auszuführen ist doch ein Unterschied?
Die Industrie, die Kriegsmaterial produziert, ist an die Sicherheitspolitische Kommission des Ständerats gelangt und hat gesagt, dass eben diese Produktion seit der Reformen in der Armee dauernd rückläufig ist. Das Überleben dieser Industrie ist gefährdet. Deshalb braucht es eine gewisse Anpassung, um dieses Überleben und die Sicherheit zu gewährleisten.
Es darf doch nicht verboten sein, wenn sich gewisse Gruppen vor Raketenangriffen schützen wollen.
Es gibt Kreise in der Schweiz, dazu gehört auch die GSoA, die die Armee abschaffen wollen. Und wenn man die Armee abschaffen will, dann kann man zuerst den Werkplatz für die Kriegsmaterialindustrie kaputt machen, dann ist man auf dem richtigen Weg. Das wollen wir verhindern. Diese Anpassungen sind unseres Erachtens mit den völkerrechtlichen Verpflichtungen der Schweiz und insbesondere mit dem Neutralitätsrecht und den aussenpolitischen Grundsätzen vereinbar. Und deshalb haben die Kommissionen zugestimmt.
Sie halten also an der Lockerung der Regeln fest. Sehen Sie momentan angesichts der Handgranaten in Syrien keinen Handlungsbedarf?
Die Handgranaten tangieren diese aktuelle Debatte nicht, da es sich um einen Vorfall von vor 2006 handelt. Seither sind die Ausfuhrbestimmungen verschärft worden. Und man muss wissen: Diese Lockerung würde auch Leben retten. Das heisst, wir könnten Bürgerkriegsländern auch Material im Bereich der Raketenabwehr liefern. Es darf doch nicht verboten sein, wenn sich gewisse Gruppen vor Raketenangriffen schützen wollen.
Das Gespräch führte Isabelle Maissen.