Das «Wort des Jahres» soll zentrale gesellschaftliche Entwicklungen und Diskurse der Schweiz spiegeln – das gewählte Trio zeigt, dass 2021 kein einfaches Jahr war.
«In diesem Wort steckt ganz viel»
Ähnlich wie «Wellenbrecher», das Deutsche Wort des Jahres, besticht «Impfdurchbruch» durch Mehrdeutigkeit und Ambivalenz. «In diesem Wort steckt ganz viel. Die Impfung sollte den Durchbruch bringen, Normalität wieder herstellen», begründet Jurypräsidentin Marlies Whitehouse von der Zürcher Hochschule für Angewandte Wissenschaften (ZHAW) die Wahl.
Doch diese Hoffnung wurde enttäuscht. «Vielmehr hat das Virus Varianten hervorgebracht, es kommt zu sogenannten Impfdurchbrüchen. Das hat bei der Bevölkerung unterschiedliches ausgelöst.» Von Resignation über Wut bis zum neuen Hoffnungsschimmer «Booster»: Die Impfung polarisiert und prägt unseren Alltag.
Polarisierung
Der Polarisierung wird mit dem dritten Platz Rechnung getragen: «Entfreunden bildet die gesellschaftliche Spaltung ab», sagt Jurymitglied Thamar Xandry, wissenschaftliche Mitarbeiterin an der Universität Zürich. «Bist du für oder gegen die Impfung, für oder gegen die Massnahmen? Das hat Familien und Freundschaften zerrissen.»
Aus den sozialen Medien kennt man den Begriff: Mit «entfreunden» oder dem englischen «unfollow» wird eine virtuelle Freundschaft beendet, zum Beispiel wegen Meinungsverschiedenheiten. Durch Corona hat «entfreunden» eine Bedeutungserweiterung in den analogen Raum erfahren.
Regen, Regen, Regen
Das Klima ist mit «Starkregen» auf dem zweiten Platz gelandet. Das Wort verweist auf die heftigen Regenfälle im Sommer. Der meteorologische Fachbegriff habe 2021 stark an Bedeutung gewonnen, sagt Thamar Xandry. «Platz eins und drei sind Corona-Themen, dazwischen steht das Klima.» Das fasst das Jahr 2021 recht treffend zusammen.
Genderdebatte fehlt
Die Genderdebatte wird in den drei Deutschschweizer Wörtern des Jahres gar nicht gespiegelt; im französischsprachigen Teil der Schweiz landete hingegen das neue Personalpronomen «iel» auf Platz eins. «iel» ist eine Wortschöpfung aus den Pronomen «il» («er») und «elle» («sie») und soll alle Geschlechtsidentitäten einschliessen. Das Wort wurde im französischen Sprachgebiet heftig diskutiert.
In der Deutschschweizer Jury habe ein anderes Wort zu Diskussionen geführt: «Freiheitstrychler». Slam-Poet und Jurymitglied Remo Zumstein, der den Begriff eingebracht hatte, ist froh, dass es die «Freiheitstrychler» nicht in die engere Auswahl geschafft haben: «Wir wollten keine Plattform bieten und auch niemanden diffamieren.»
Globale Probleme, globale Begriffe
Ein spezifischer Bezug zur Schweiz lässt sich in der diesjährigen Auswahl nicht feststellen – anders als 2018, als mit «Doppeladler», «Rahmenabkommen» und «079» drei eindeutig helvetische Diskurse abgebildet wurden.
Impfdurchbrüche, extreme klimatische Ereignisse und soziale Spannungen gab es 2021 weltweit. Das vergangene Jahr hat einmal mehr die Notwendigkeit globaler Lösungen für globale Probleme aufgezeigt.
Deutschschweizer «Wort des Jahres» 2003 bis 2020
1. Platz | 2. Platz | 3. Platz | |
2020 | systemrelevant | Maskensünder | stosslüften |
2019 | Klimajugend | OK Boomer | Flugscham |
2018 | Doppeladler | Rahmenabkommen | 079 |
2017 | #metoo | weglachen | Influencer |
2016 | Filterblase | ||
2015 | Einkaufstourist | ||
2014 | # (Hashtag) | ||
2013 | Stellwerkstörung | ||
2012 | Shitstorm | ||
2011 | Euro-Rabatt | ||
2010 | Ausschaffung | ||
2009 | Minarettverbot | ||
2008 | Rettungspaket | ||
2007 | Sterbetourismus | ||
2006 | Rauchverbot | ||
2005 | Aldisierung | ||
2004 | Meh Dräck | ||
2003 | Konkordanz |