In knapp einer Woche finden die nationalen Wahlen statt. Statistiken der Wahlen vor vier Jahren zeigten, dass die Stimmbeteiligung insbesondere bei jungen Menschen (18-24-Jährigen und 25-34-Jährigen) tief war. Sie seien aber nicht inaktiv in der Politik, sagt der Politologe Lucas Leemann. «Ja, formale Teilnahme ist deutlich geringer bei jungen Menschen. Jedoch sind junge Menschen auf eine andere Art und Weise politisch tätig.» Beispielsweise würden Boykotte oder Demonstrationen häufig von jungen Menschen mitgetragen – Stichwort: Klimabewegung. Dazu sei oft ein grösseres Engagement gefordert, als bei Abstimmungen einen Zettel auszufüllen und diesen fristgerecht abzuschicken.
Leemann zufolge gibt es verschiedene Gründe für die tiefe formale Beteiligung. Einerseits hätten Menschen nicht nur bei Wahlen die Möglichkeit auf Partizipation, sondern auch bei Sachabstimmungen unter dem Jahr. Andererseits führten Wahlen in der Schweiz auch praktisch nie zu einer wahrnehmbaren Veränderung in der Regierung. Zudem sei eine selektive Teilnahme bei gewissen Themengebieten denkbar. Die Altersgruppe der jüngeren Menschen sei aber sehr heterogen.
Der Politologe nennt drei verschiedene Gründe für die geringe Stimmbeteiligung junger Menschen.
- Erstens: Eine allgemeine tiefe Stimmbeteiligung bei allen Wahlberechtigten habe meist eine ungleiche Stimmverteilung in den Altersgruppen als Konsequenz. Dies führt dazu, dass mehr Stimmen von älteren Menschen abgegeben werden als von jüngeren.
- Zweitens: «Politische Partizipation ist Gewohnheit», sagt Leemann. Bei jungen Menschen könne diese Gewohnheit noch gar nicht so ausgeprägt sein wie bei älteren Personen.
- Drittens: Junge Menschen befänden sich meist in einer aufregenden Lebensphase. Es bewege sie extrem viel und es gebe sehr viele Veränderungen. All dies wirke nicht unterstützend für eine regelmässige Teilnahme an politischen Entscheidungen.
Politik kann komplex sein. Gerade jungen Menschen fehle bei der Meinungsbildung eine Orientierung. «Menschen orientieren sich bei politischen Abstimmungen an einem Leuchtturm. Man muss sich von der Vorstellung lösen, dass sich alle Bürgerinnen und Bürger immer lange Gedanken machen zum Inhalt.» Für viele Themen brauche es Einschätzungen von Fachexpertinnen und -experten oder eben auch Parteien.
Ein Gefühl der Ohnmacht in Krisenzeiten
Angesichts der aktuellen Geschehnisse, wie beispielsweise des Ukraine-Krieges oder des Nahostkonflikts, scheint eine Informationsflut auf uns einzuprasseln. Diese versetzt Menschen teilweise in eine Ohnmacht und die eigene Teilhabe werde als nichtig betrachtet. Auch rückten durch diese Ereignisse Diskussionen zu den Wahlen in den Hintergrund. Eine inhaltliche Auseinandersetzung zwischen solchen Krisen und den Wahlen sollte deswegen mehr erarbeitet werden, um Zusammenhänge aufzuzeigen.
Jungen Menschen sollte die Politik auf eine motivationsstiftende Art und Weise nähergebracht werden. Erklärvideos könnten hierbei sicher helfen, um komplexe Inhalte zugänglicher zu machen. «Das Problem ist aber, dass bei vielen Menschen einfach die Motivation fehlt. Man kann noch so viele Informationen geben, die Leute gehen doch nicht wählen. Da helfen auch Erklärvideos nicht weiter.» Wichtig sei, dass junge Menschen Politik mit einer motivierenden Neugier in Verbindung bringen und sie diese nicht als etwas Abschreckendes wahrnehmen würden.