Mancher Parteistratege mag die Order durchgegeben haben, das Verhältnis zu Europa nicht zum grossen Wahlkampfthema zu machen. Trotzdem ist das Thema präsent, zwar nicht so sehr bei den nationalen Kampagnen. Aber bei den unzähligen Wahlkampfveranstaltungen im Leuen und Bären landauf, landab sehr wohl.
Die Taktgeber
Der Vorwurf der SVP, die anderen Parteien würden das Thema totschweigen, greift also zu kurz. Vor allem aber geben bei diesem Thema nicht die Parteien den Takt vor, sondern vor allem die EU-Kommission in Brüssel und der Bundesrat.
Bereits vor den Sommerferien liess die EU-Kommission die Äquivalenz für die Schweizer Börse auslaufen. Damals aber hatte der Wahlkampf in der Schweiz noch gar nicht volle Fahrt aufgenommen. Der Effekt dieser Bombe, welche die EU damals zündete, ist nun ziemlich verpufft.
Die Suche nach dem Kompromiss
Und damit kommt der Bundesrat ins Spiel: Er verlangt von Brüssel, das vorliegende Rahmenabkommen zu präzisieren, etwa beim Lohnschutz. Um innenpolitisch die Reihen zu schliessen, versucht der Bundesrat zudem, zusammen mit den Sozialpartnern einen Kompromiss auszuhandeln, den er Brüssel dann präsentieren will.
Doch plätschern diese Gespräche mit den Sozialpartnern eher vor sich hin. Ein aussenpolitischer Druck ist kaum zu spüren. Es deutet auch Vieles darauf hin, dass der Bundesrat die Abstimmung über die Begrenzungs-Initiative der SVP im nächsten Jahr abwarten will, welche die Personenfreizügigkeit aufkündigen würde. Die Gespräche über den Lohnschutz dürften erst nach der Abstimmung ernsthaft geführt werden.
Die Strategie
Der Grund ist naheliegend: Würde bereits jetzt ein Kompromiss angestrebt, könnte die SVP versucht sein, damit Stimmung zu machen, während des Wahlkampfes und dann auch während Abstimmungskampfes zur Kündigungsinitiative. Und das will niemand.
Diese Strategie trägt wesentlich die Handschrift von Bundesrätin Karin Keller-Sutter. Wie sie überhaupt im Europadossier eine zunehmend wichtige Rolle spielt. Bei den Gesprächen zwischen den Sozialpartnern sitzt als Vertreter des Bundes nämlich Mario Gattiker mit am Tisch, der Staatssekretär in ihrem Departement.
Die neue Runde
Gattiker hat einen anderen Staatssekretär verdrängt, Roberto Balzaretti vom Aussendepartement. Das belegen Recherchen von Radio SRF. Die Gewerkschaften wollten Balzaretti keinesfalls mit am Tisch haben, weil sie ihm und seinem Chef Aussenminister Cassis nicht trauen; hingegen vertrauen sie Bundesrätin Keller-Sutter und Mario Gattiker.
Diese Machtverschiebung im Bundesrat ist das eigentlich Interessante der letzten Wochen. Damit kann Bundesrätin Keller-Sutter das innenpolitische Tempo mitbestimmen, was sie auch tut.
Wenn sich die SVP also etwas pauschaler darüber beklagen sollte, dass die Politik generell das Thema verzögert, hat sie durchaus auch Recht. Auch wenn eine solche Verzögerungstaktik natürlich legitim ist.