Es gilt als die neue Wunderwaffe im Polit-Zirkus: Microtargeting. Was die Obamas und Trumps in Amerika schon lange machen, hält dieses Jahr auch in der Schweizer Politik voll Einzug. Jede Polit-Werbeagentur bietet die neue digitale Werbeform an – und sie wird im aktuellen Wahlkampf von Schweizer Politikern erstmals breit genutzt.
Werbung für genaue Zielgruppe
«Früher konnte man sein Plakat an einem bestimmten Ort hin stellen. Oder sein Inserat in der Zeitung in einem bestimmten Bund schalten: Etwa im Sport- oder im Inland-Teil», sagt Daniel Jörg, Leiter der Digitalabteilung von Farner Consulting.
Microtargeting mache eigentlich genau dasselbe, nur könne die Zielgruppe noch viel genauer eingegrenzt werden. «Ich kann aus hunderten Kriterien wählen, wer meine Werbung sehen soll: Jemand der gerne Autos hat, einen Hund hat, oder jemand der Manager ist.»
Möglich macht dies etwa Facebook mit dem Facebook-Werbeanzeigenmanager. Fast täglich schaltet der US-Konzern dort neue Möglichkeiten des zielgerichteten Werbens online. Auch Google mischt mit: «Es gibt etwa eine Werbemöglichkeit auf Youtube, dass Werbevideos nur jenen Leuten gezeigt werden, die auf Google eine bestimmte Suche gemacht haben», so Jörg.
Wer also auf Google nach Babysachen oder einem E-Bike sucht, könnte bald Werbung von Politikern erhalten, die sich für Familienpolitik oder mehr Velorouten einsetzen.
Zielgruppen für den Meistbietenden
Am Ende würden Politiker mit Microtargeting Geld sparen – sie würden ihr Budget nicht für Werbung mit der Giesskanne verschwenden, sagt Jörg. «Die Digitalisierung macht Prozesse effizienter – so auch die Werbung. Den Streuverlust kann man mit Microtargeting weitgehend ausschalten.» Schon für 5-10 Franken lässt sich eine Werbung auf eine bestimmte Zielgruppe einschränken, etwa auf einen Kanton oder ein Geschlecht.
Die Digitalisierung macht Prozesse effizienter – so auch die Werbung. Den Streuverlust kann man mit Microtargeting weitgehend ausschalten.
Wer jedoch ganz gezielt auf Zielgruppen zugehen will – etwa Frauen zwischen 40 und 60 im Kanton Zürich, die sich für Politik interessieren und Kinder haben – muss oft tiefer in die Tasche greifen. Denn wenn sich auch andere für dieselbe Zielgruppe interessieren, steigt der Preis. Facebook zum Beispiel versteigert die eingegrenzten Zielgruppen an den Meistbietenden.
Verzerrung der Demokratie?
Microtargeting erlaubt es den Marketingprofis, einzelne Werbebotschaften zu testen: Welche Zielgruppe reagiert am besten auf eine bestimmte Werbung? Funktioniert eine Botschaft gut, kann diese mit mehr Geld beworben werden und ähnliche Werbungen geschalten werden. Zudem lässt sich die Botschaft an eine bestimmte Kundengruppe anpassen: Bei jeder Zielgruppe erwähnt ein Politiker einen bestimmten Aspekt seines Programms, andere Teile lässt er bewusst weg.
Wenn Politiker sehr selektiv Informationen verbreiten, kann dies bis zur Desinformation führen.
Diese extrem zugeschnittenen und Teils verfälschten Botschaften könnten zu einer Verzerrung der Demokratie führen, befürchten Medienwissenschaftler. Medienpsychologe Werner Wirth von der Universität Zürich etwa sieht es als gefährlich an, wenn Kontexte und Hintergründe weggelassen werden. «Wenn Politiker sehr selektiv Informationen verbreiten, kann dies bis zur Desinformation führen.» Falschinformationen seien Gift für unsere Konsens-Demokratie, die auf Diskussion und Kompromissen basiere.
Ein weiterer Nachteil von Microtargeting auf den gängigen Social-Media-Portalen: Werben Schweizer Politiker bei Google oder Facebook, bleibt vom Werbefranken wenig in der Schweiz – die Gelder fliessen meist ins Ausland.