Der durchschnittliche Parlamentarier ist männlich, 54 Jahre alt, hat studiert und keinen Migrationshintergrund. Einigen Parteien ist das ein Dorn im Auge. Unterlisten mit Migrantinnen und Migranten sollen Abhilfe leisten. Von den Grünen im Kanton Zürich, über die Sozialdemokraten in Luzern, Aargau und Freiburg bis zur SVP in Basel-Stadt – sie alle setzen auf spezielle Listen für Kandidierende mit Migrationshintergrund.
Waren es bei den letzten Wahlen, noch vier solcher Migrationslisten, sind bis Stand heute bereits fünf Listen mit Migrantinnen und Migranten verzeichnet. Die Eingabefrist läuft – je nach Kanton – bis spätestens Ende August.
Gefahr der Ghettoisierung
Die Parteien profitieren dabei von einer Gesetzesänderung, welche die Voraussetzungen für Unterlisten verringert. Für den Politikwissenschaftler Nenad Stojanović sind sie jedoch ein zweischneidiges Instrument. Sie helfen vor allem der Partei, mehr Stimmen für die Hauptliste zu holen.
Gerade für Kandidierende mit Migrationshintergrund sei eine solche Absonderung aber nicht unbedingt ein Vorteil. Er sieht die Gefahr einer «Ghettosisierung» und erklärt weiter: «Damit verstärkt man die Idee, dass die Migrantinnen und Migranten ein separater Teil der Gesellschaft sind und nicht wirklich ein Teil davon», erklärt Stojanović.
Grosses Wählerpotential
Einer der Kandidaten mit Migrationshintergrund ist der St.Galler Stadtrat Arber Bullakaj. Der Ostschweizer mit kosovarischen Wurzeln kandidiert dieses Jahr auf dem dritten Platz der SP-Hauptliste. Der Platz auf der Hauptliste ist für Bullakaj eine Voraussetzung, um überhaupt gewählt zu werden. «Wenn man Kandidierende mit Migrationshintergrund nicht auf die Hauptliste setzt, sondern nur auf eine Unterliste, die überhaupt keine reellen Chancen hat, dann riskiert man diese Person zu verheizen», erklärt Bullakaj.
Mit seiner Kampagne spricht er auch explizit Menschen mit Migrationshintergrund an, denn 37 Prozent der Schweizer Bevölkerung haben gemäss dem Bundesamt für Statistik einen solchen. Im Parlament machen sie aber nur knapp zehn Prozent aus. Dort will Bullakaj ansetzen. Sein Wahlkampf führt ihn durch die Vereine der türkischen, portugiesischen, somalischen oder kosovarischen Minderheiten. Bullakaj will ihnen das Schweizer Politsystem näherbringen und natürlich ihre Stimme gewinnen.
Mehr Vielfalt – aber nicht so
Dass es mehr Vielfalt brauche, findet auch Sibel Arslan, die für den Kanton Basel-Stadt im Nationalrat sitzt. Sie schätzt die heutige Auseinandersetzung mit ihren Kolleginnen und Kollegen im Rat, findet aber, dass es mehr unterschiedliche Lebenserfahrungen und Ansichten im Parlamentsbetrieb braucht. Demokratiepolitisch sei es zudem heikel, wenn ein Drittel der Bevölkerung untervertreten sei.
Doch: Das Ziel einer grösseren Vielfalt könne nicht über den Weg der abgesonderten Listen erreicht werden kann. «Ich selber bin dafür, dass man gemischte Listen macht», sagt sie. Denn schlussendlich seien es alles Menschen, die Politik machen – mit verschiedenen Ausrichtungen und Schwerpunkten.
Von der neuen Regelung zu den Unterlisten machen die Parteien übrigens nicht nur für Kandidierende mit Migrationshintergrund Gebrauch. Es gibt auch eigene Listen für Senioren, für Frauen oder für Unternehmerinnen.