Fast 500 Aargauerinnen und Aargauer buhlen um einen Sitz im Nationalrat. Sie kandidieren auf insgesamt 34 Listen und Unterlisten. Damit ist die Auswahl so gross wie noch nie. Allerdings: Nur die wenigsten dieser Kandidierenden haben reelle Chancen. Denn: Der Aargau hat «nur» 16 Sitze im Nationalrat. Spannend ist die Frage, wie sich die Kräfteverhältnisse innerhalb dieser Aargauer Vertretung verändern könnten.
Die grösste Delegation stellt die SVP mit sieben Mandaten. Doch die Ausgangslage für die wählerstärkste Partei im Kanton ist schwierig, denn sie verliert mehrere prominente und altgediente Parlamentsmitglieder.
Ulrich Giezendanner, Sylvia Flückiger, Luzi Stamm und Maximilian Reimann stehen nicht mehr auf der Wahlliste. Reimann will seine Wiederwahl mit einer eigenen Seniorenliste schaffen. Auch Stamm will es nochmals wissen und hat eine Liste mit seinem eigenen Namen im Titel angemeldet.
Alle Augen sind auf die SVP gerichtet
Zwar hat die SVP eine volle Liste mit durchaus bekannten neuen Namen am Start, aber ein Sitzverlust ist dennoch wahrscheinlich. Ihr siebtes Mandat holte sie 2015 nämlich mit Proporzglück und klugen Listenverbindungen. Macht die Partei etwas weniger Stimmen in diesem Herbst, so ist Sitz Nummer 7 wohl dahin.
Einige Experten gehen sogar davon aus, dass die grösste Partei im Kanton zwei Sitze verlieren könnte. Dies, weil sie im Aargau vor allem mit personellen Querelen für Schlagzeilen sorgte: Die von der SVP portierte Gesundheitsdirektorin Franziska Roth hat ihr Amt nach nur rund zweieinhalb Jahren abgegeben und Nationalrat Luzi Stamm hatte mit wirren Drogengeschichten im Bundeshaus für Kopfschütteln gesorgt. Zudem hat die Partei auch in anderen Kantonen Wähleranteile eingebüsst.
FDP will vier Sitze
Die grosse Frage ist: Wer profitiert von einem allfälligen Sitzverlust der SVP? Hoffnungen macht sich die FDP. Sie muss mit Corina Eichenberger zwar ebenfalls eine altgediente Nationalrätin ersetzen, will aber trotzdem ihren Wähleranteil steigern und einen zusätzlichen Sitz erobern.
Damit haben sich die Freisinnigen ein hohes Ziel gesteckt: Sie haben Sitz Nummer 3 nämlich erst vor vier Jahren knapp dazu gewonnen, müssten ihren Wähleranteil nun also merklich steigern können.
SP will verlorenen Sitz zurück
Auch die Sozialdemokraten wollen einen Sitz dazugewinnen. Allerdings geht es hier um die Rückeroberung eines 2015 verlorenen Mandats. Die SP hat aktuell nur zwei Sitze, will aber wieder deren drei. Sie hatte 2015 einen Wähleranteil von über 16 Prozent erreicht und lag damit noch vor der FDP, welche aber trotzdem ein Mandat mehr erreichte.
Inzwischen haben die Sozialdemokraten in verschiedenen kantonalen Wahlen zugelegt und sind deshalb optimistisch. Zudem könnte die aktuelle Klimadebatte nicht nur den grünen Parteien helfen, sondern auch der SP.
Auch CVP ist optimistisch
Die CVP ist seit Jahren auch im Aargau unter Druck, blickt aber ebenfalls optimistisch auf die Wahlen. Der nationale Parteipräsident Gerhard Pfister erklärte an einem Kantonalparteitag im letzten Jahr, die Chancen für einen zweiten oder sogar dritten Sitz im Aargau stünden gut.
Wie viele andere Parteien setzt auch die CVP auf Unterlisten, um der Hauptliste mehr Stimmen zuschanzen zu können. Sie hat mit insgesamt neun Listen die grösste Auswahl, unter anderem regionale Listen oder eine nur mit Vertreterinnen und Vertretern der Landwirtschaft. Die SP führt erstmals eine queer-feministische Liste, dazu eine Migrantenliste und eine Seniorenliste. Auch Jungparteien stellen in der Regel Unterlisten und liefern ihre Stimmen quasi der Mutterpartei ab.
Grüne und Grünliberale hoffen, BDP zittert
Bei den kleineren Parteien machen sich vor allem Grüne und Grünliberale Hoffnung auf einen Erfolg. Beide Parteien werden ihren Sitz wohl halten können, unter anderem dank der Klimadebatte.
Schwieriger ist die Ausgangslage für die auch national unter Druck stehende BDP. Ihr Mandat von Bernhard Guhl könnte durchaus gefährdet sein, wenn der Wähleranteil sinkt. Die EVP hofft darauf, vom möglichen Untergang der BDP profitieren zu können.
Neben den etablierten Parteien gibt es weitere Listen: Die Piratenpartei, die «Lösungsorientierte Volksbewegung LOVB», die «Freie Wähler Aargau», «DU-Die Unabhängigen», sowie die bereits erwähnte Seniorenliste «Team65+» von Maximilian Reimann und die Liste «LS» von Luzi Stamm.
Keine überraschenden Listenverbindungen
Im Kanton Aargau gibt es fünf Listenverbindungen. Darunter die klassische linke Verbindung mit SP, Grünen und Piratenpartei. Im rechten Parteispektrum sind SVP, FDP, EDU und das Team 65+ eine Verbindung eingegangen.
Im Gegensatz zu den letzten Wahlen 2015 beim bürgerlichen Schulterschluss nicht mit von der Partie ist die CVP. Sie hatte 2015 einen Sitz verloren und hofft nun mit der Listenverbindung mit den Grünliberalen diesen Sitz wieder zu gewinnen. Gleiches erhoffen sich aber auch die GLP-Strategen von der Listenverbindung.
BDP und EVP hoffen, dass der Partner verliert
Ebenfalls eine Listenverbindung sind BDP und EVP eingegangen. Die Situation hier ist paradox. Die BDP hofft mit den EVP-Stimmen den Sitz von Bernhard Guhl zu verteidigen, während die EVP auf einen Sitzgewinn hofft – auf Kosten ihres Listenpartners BDP.
Zur fünften Listenverbindung haben sich die «Freien Wähler Aargau», die Liste «LS» Luzi Stamm und die «Lösungsorientierte Volksbewegung LOVB» zusammengetan. «DU-Die Unabhänigen» gehen keine Listenverbindung ein.
Fazit: Weniger alt und weniger männlich
Die Ziele der Parteien sind – wie immer – ambitioniert. Die Sitzzahl bleibt aber natürlich auf 16 beschränkt. Auffallend viele Parteien hoffen auf einen Sitzgewinn auf Kosten der SVP. Allerdings: So viele zusätzliche Mandate, wie die anderen Parteien ansterben, so viele Mandate dürfte die SVP wohl kaum verlieren.
Die Nationalratswahlen im Aargau versprechen durchaus Spannung. Gut möglich, dass die Aargauer Delegation im Bundeshaus nach den Wahlen im Herbst 2019 insgesamt etwas jünger ist.