Das SRG-Wahlbarometer ist keine Blitzumfrage, keine Online-Abstimmung. Die Antworten von mehr als 21'000 Stimmberechtigten wurden ausgewertet und in einem 44 Seiten dicken Bericht ausgewertet, erklärt und analysiert. Das Forschungsinstitut Sotomo, das diese Umfrage im Auftrag der SRG erstellt hat, greift dabei auf zwei Kanäle zurück (siehe Box unten).
Trau keiner Umfrage
Für Politologe Marc Bühlmann von der Universität Bern gilt allerdings: Trau keiner Umfrage. Aus einer wissenschaftlichen Perspektive seien diese nicht über alle Zweifel erhaben. Vor allem die Methoden der Gewichtung zweifelt Bühlmann an. Heute sei es kaum mehr möglich, nach dem Zufallsprinzip Stimmberechtigte über eine Telefonumfrage zu erreichen.
Denn viele hätten gar keinen Festnetzanschluss mehr und auch übers Handy würden viele nicht mehr teilnehmen. Deshalb müsse man mit einer Gewichtung arbeiten, also die fehlende Repräsentanz künstlich herstellen und das sei fast unmöglich.
Sotomo hat ein riesiges Datenarchiv
Michael Hermann widerspricht. Er ist als Geschäftsführer von Sotomo der Mann, der die Studie für die SRG verfasst hat. Es stimme zwar, dass es heute schwieriger sei, gewisse Kreise zu erreichen, deshalb mache man die Umfragen online.
Zudem verfüge man über zwei Quellen, um Daten zu erheben. Zum einen rufe man auf den SRG-Webseiten die Nutzerinnen und Nutzer auf, an der Umfrage teilzunehmen, zum anderen greife man auf die eigene Adresskartei zurück. Diese Adressen stammten aus früheren Umfragen und umfassten mittlerweile ein Volumen von über 90'000 Personen, welche aus den verschiedensten Kultur- und Bildungskreisen stammten.
Hermann ist auch nicht einverstanden mit der weit verbreiteten Behauptung, dass Umfragen oft daneben liegen würden.
Umfragen in der Schweiz sind eigentlich sehr genau.
So ziehe man immer wieder die Minarett-Initiative als negatives Beispiel bei. Diese habe aber 2009 stattgefunden, sei also schon lange her. Das zeige, so Hermann, dass seither die Umfragen relativ verlässlich seien. Allerdings sagte jüngst auch die Umfrage zum CO2-Gesetz ein Ja voraus, das Volk lehnte die Vorlage ab und auch die Sotomo-Umfrage für die Wahlen 2019 lag nicht richtig.
Für Politologe Bühlmann ist klar, dass Umfragen maximal eine Momentaufnahme, aber nie eine Prognose sind. Auch hier ist Hermann anderer Meinung. Im Prinzip seien Wahlumfragen auch Prognosen. Die Idee sei ja, dass man mit einer Wahlumfrage die eigentlichen Wahlen simuliere.
Die Mobilisierung – die grosse Unbekannte
Die grosse Unbekannte ist und bleibt aber die Mobilisierung: also wer letztendlich wirklich wählen geht. Das kann man in Umfragen kaum erfassen. So lag die letzte Sotomo-Umfrage gerade bei den Wählergewinnen respektive Verlusten bei Grünen und SVP daneben.
Die Grünen konnten 2019 viel besser mobilisieren und gewannen dabei deutlich mehr Wähleranteile als sämtliche Umfragen vorausgesagt hatten. Demgegenüber fand bei den SVP-Wählerinnen und Wählern eine eigentliche Demobilisierung statt.
Für mich sind Umfragen eher eine Beschäftigungstherapie.
Die Verluste waren demzufolge deutlich höher ausgefallen als in den Umfragen. Deshalb stellt sich auch die Frage, wie wichtig solche Wahlbarometer für die Parteien sind. Für SVP-Wahlkampfleiter Marcel Dettling bräuchte es sie gar nicht. Für ihn sind Umfragen eher eine Beschäftigungstherapie.
Auch Grünenpräsident Balthasar Glättli ist skeptisch. Er orientiere sich nicht an irgendwelchen Umfragen, sondern schaue während der Legislatur lieber auf die Wahlen in den jeweiligen Kantonen.
Die einzigen wirklich verlässlichen Umfragen sind die an der Urne.
Bei den anderen Parteien ist man Umfragen gegenüber positiver eingestellt: Sie seien zwar keine Wahlprognose, aber ein guter Gradmesser, um aufzuzeigen, wo man als Partei aktuell stehe.
Auch nicht einig sind sich die Parteien, wie viel Einfluss Umfragen auf die Wählerinnen und Wähler haben. SP, FDP, Mitte und GLP sind überzeugt, Umfragen würden öffentliche Debatten anregen, dürften aber nicht überbewertet werden. SVP und Grüne glauben sehr wohl, dass die Berichterstattung über Umfragen die Wählenden beeinflusst.
Dettling von der SVP hofft deshalb immer eher auf schlechte Umfragewerte für seine Partei. So könne man die eigene Wählerbasis besser rekrutieren.
Ich habe lieber schlechte Umfragewerte. So gehen die eigenen Leute eher wählen.
Sicher ist: Umfragen geniessen grosse Aufmerksamkeit, es wird darüber berichtet und darüber diskutiert. Das sei demokratiepolitisch wichtig, sagen sowohl Marc Bühlmann als auch Michael Hermann. Wenigstens in diesem Punkt sind sich beide Politologen einig. Und für weiteren Diskussionsstoff ist gesorgt. Denn bis zu den Wahlen folgen noch etliche Umfragen. Das nächste SRG-Wahlbarometer erscheint im Frühling.