Noch nie kandidierten so viele Menschen in der Schweiz für den Nationalrat. Das zeigen aktuelle Zahlen zu den Wahllisten. Viele dieser Kandidierenden dürften auf den Herbst hin in den sozialen Medien auf Stimmenfang gehen, denn die Plattformen werden immer wichtiger.
«Wir stellen fest, dass Social Media einen höheren Stellenwert hat als bei den Wahlen vor vier Jahren. Die Kandidierenden haben die Aktivitäten deutlich professionalisiert», sagt Dimitry Parisi von der Kommunikationsagentur Farner Consulting. Dabei würden nicht nur junge Leute im digitalen Raum Wahlwerbung für sich machen.
Grosse Reichweite möglich
Im Vordergrund stehen laut Parisi vor allem Facebook und Instagram, die beide zum Meta-Konzern gehören. «Sie gehören zu den reichweitenstärksten Plattformen in der Schweiz. Dort gelingt es, ein Publikum von 30 bis 60 oder sogar 70 Jahren zu erreichen», sagt Parisi. Entsprechend interessant seien die Plattformen für die Kandidierenden.
Die Kurzvideo-App Tiktok biete hingegen noch ein kleines Potenzial für diese Wahlen, so Parisi. Dort tummeln sich vor allem Junge – ein Teil wohl noch nicht im wahlberechtigten Alter. Sie seien aber die zukünftige Generation von Wählerinnen und Wählern, deshalb biete ein Auftritt Chancen für spätere Wahlen.
Ungefilterte Kommunikation
«Soziale Medien bringen den grossen Vorteil, dass die Interaktion zwischen Politikerinnen und Wählerinnen öffentlich und nachvollziehbar ist», sagt Politikprofessorin Stefanie Bailer von der Universität Basel. Diese Interaktion schätze die Wählerschaft nicht nur, sondern erwarte sie sogar. Nützlich für die Politikerinnen und Politiker sei, dass sie sich auf den Plattformen ohne Filter äussern könnten. «Sie haben die Möglichkeit, sich so darzustellen, wie sie gesehen werden wollen, und können zu den Themen reden, zu denen sie reden möchten», sagt sie.
Doch ein Auftritt in den sozialen Medien ist nicht alles. Zumindest galt das bei den vergangenen Wahlen 2019. Laut einer Nachwahlbefragung stützten sich 55 Prozent der Befragten bei ihren Wahlentscheiden auf TV- und Radiosendungen sowie Gespräche mit Freunden. Dagegen nutzten lediglich 13 Prozent das Internet, Blogs oder soziale Medien.
«Social Media ist nur ein Puzzleteil», sagt Politologin Cloé Jans von GFS Bern. «Man braucht weiterhin Präsenz auf der Strasse, Plakate und analoge Werbungen.» Auch je nach Partei hätten die sozialen Medien unterschiedliche Stellenwerte. «Die linken Parteien, die ein jüngeres und urbaneres Publikum ansprechen, sind da natürlich weiter.» So habe die SP im digitalen Raum eine klare Strategie. Im Vergleich dazu funktioniere beispielsweise die SVP noch sehr analog.
Wie wichtig der Wahlkampf auf Social Media dieses Jahr wirklich gewesen sein wird, lässt sich wahrscheinlich erst im Nachgang sagen. Denn die Technologiekonzerne hinter den Plattformen lassen sich seit jeher nicht in die Karten blicken. Und die Parteien dürften wegen der Konkurrenz ihre Erfolge mit Wahlwerbung in den sozialen Medien nur zurückhaltend kommunizieren.