In den letzten Wahlkampf zog die wählerstärkste Partei der Schweiz mit Würmern. Doch die grosse Aufmerksamkeit blieb aus. Das Sujet mit dem zerfressenen Apfel bewegte die Gemüter wenig.
Dieses Mal ist es anders: Mehr als zwei Jahre vor den nächsten nationalen Wahlen entdeckte die Volkspartei in diesem Sommer ein neues Feindbild: das der links-grünen Städter, die angeblich das Land «bevormunden» wollten.
Die Faktenlage ist zweitrangig
Keine grosse Zeitung, die nicht über Marco Chiesas Brandrede gegen die Städte am 1. August schrieb. Die Rechnung des neuen Parteipräsidenten ging auf. Der Stadt-Land-Graben ist in aller Munde, der Wahlkampf voll lanciert.
Es spielt dabei gar keine grosse Rolle, ob die Faktenlage stimmt oder nicht. Der Stadt-Land-Graben lässt sich emotional bewirtschaften, nur das zählt. Das Städte-Bashing scheint einen Nerv zu treffen.
Heute legte die SVP nach und versuchte mit eigenen Berechnungen zu «beweisen», dass es eine heimliche Umverteilung von der «fleissigen» Agglo- und Landbevölkerung an die «verschwenderischen» Städter gebe.
Städte zahlen viel Steuern
Wobei einiges gegen diese These spricht: Laut Bundesamt für Statistik zahlen die Städte 77 Prozent der Bundessteuern. Und gemäss einer Ecoplan-Studie bleibt den Städten von einem bezahlten Steuerfranken nur ein Drittel. Zwei Drittel gehen über Transferzahlungen an Bund und Kantone.
Mit dem einflussreichen Ständerat und dem Ständemehr sitzt die ländliche Bevölkerung auch politisch oft am längeren Hebel. Am letzten Abstimmungssonntag hat sich das Land gleich dreimal durchgesetzt, mit dem Nein zum CO2-Gesetz und den beiden Agrarinitiativen.
Das Feindbild des Stadtmenschen sieht Politgeograf Michael Hermann eher als Symbol für eine politische Ausrichtung, die der SVP nicht passt. Die Klischee-Städterin ist gesellschaftlich progressiv, kämpft gegen Autos und für mehr Platz für Velos, spricht eine gendergerechte Sprache und ist womöglich sogar noch für den EU-Beitritt.
SVP trifft einen Nerv
Auf dem Land könnte die SVP mit ihrem neuen Feindbild durchaus punkten. Dort versteht man die Politik von Teilen der Stadtbevölkerung möglicherweise tatsächlich immer weniger. Bei den letzten Volksabstimmungen wurde der Graben zwischen Stadt und Land etwas tiefer. Die Hoffnung der SVP: Die Landbevölkerung auch an den nationalen Wahlen so stark mobilisieren zu können wie am letzten Abstimmungssonntag.
Das Feindbild des linken Stadtmenschen hat aber auch seine Grenzen. So fremd sind sich Stadt und Land dann doch nicht. Die Lebens- und Arbeitsräume in der Stadt und auf dem Land verschmelzen immer stärker. Auch auf dem Land ticken viele politisch Interessierte «urban». Und in den Städten gibt es nicht wenige Stimmbürgerinnen und Stimmbürger, die ländlich-konservativ denken. Der Graben ist nicht so tief, wie das die SVP darstellt.