Die EU hat am Mittag ihr neues Migrationskonzept vorgestellt: Bei einem plötzlichen Zustrom von Flüchtlingen soll es zeitlich befristet einen Verteilungsschlüssel für schutzbedürftige Personen geben.
Die EU-Kommission will die Flüchtlinge aufgrund der Wirtschaftsleistung, der Bevölkerungsgrösse, der Arbeitslosenzahlen auf die Mitgliedsländer verteilen. Berücksichtigen will man dabei auch die Anzahl bereits aufgenommener Flüchtlinge.
Auswirkungen für die Schweiz
Dieser neue Verteilschlüssel hat nicht nur Auswirkungen für EU-Staaten, sondern könnte auch die Schweiz betreffen.
Gemäss SRF-Korrespondent Sebastian Ramspeck nimmt die Schweiz bereits relativ viele Flüchtlinge auf. Pro Tausend Einwohner treffen 2,7 Asylgesuche ein - nur vier europäische Länder erhalten mehr. Die Schweiz könnte also von einer Quote profitieren: «Ein europaweiter Verteilschlüssel würde für die Schweiz eher eine Entlastung als eine Zusatzbelastung bedeuten», sagt Ramspeck. Die deutsche Tageszeitung «Die Welt» berechnet für die Schweiz eine Abnahme von 5000 Asylgesuchen.
Damit die Schweiz vom Verteil-System entlastet werden kann, müsste sie sich jedoch erst daran beteiligen. Das ist im Moment noch unklar und hängt stark davon ab, wie die EU die Neuerungen genau regeln will.
Grundsätzlich gibt es laut Ramspeck zwei mögliche Szenarien:
- Szenario 1: Die EU regelt die Flüchtlingsverteilung über EU-internes Recht und damit ausserhalb des bestehenden Schengen-Dublin-Abkommens. In diesem Fall wäre die Schweiz nicht direkt betroffen, könnte sich aber am neuen System beteiligen.
- Szenario 2: Wahrscheinlicher ist, dass die EU das Schengen-Dublin-Abkommen den neuen Gegebenheiten im Flüchtlingswesen anpasst. Da sich die Schweiz dem Abkommen angeschlossen hat, würde dessen Anpassung hierzulande eine Gesetzesänderung nach sich ziehen. Diese müsste vom Parlament abgesegnet werden. Würde dagegen das Referendum ergriffen, würde quasi erneut über Schengen-Dublin abgestimmt. Denn am Abkommen kann nur teilnehmen, wer alle Änderungen mitträgt.
Auch Bundespräsidentin Simonetta Sommaruga äusserte sich bereits zu den Plänen der EU. Für sie ist nicht klar, ob eine Änderung des Schengen-Dublin-Abkommens für die Schweiz als Nicht-EU-Mitglied bindend wäre.
«Es braucht nun Taten und nicht nur Worte»
Sommaruga sagte aber, die Schweiz begrüsse es grundsätzlich, dass die EU nun Diskussionen über eine solidarische und gesamteuropäische Lösung führe. «Wir sind gerne bereit, an einer europäischen Lösung mitzuarbeiten.» In welcher Form und auf welcher rechtlichen Grundlage werde nun abgeklärt. «Es braucht nun Taten und nicht nur Worte», so Sommaruga. Die Aufnahme von 20‘000 besonders verletzlichen Personen durch die EU-Staaten könne nun ein erster Schritt sein.
Bis es soweit ist, dürfte jedoch noch einige Zeit verstreichen. Die Vorschläge der EU-Kommission können nur Gesetz werden, wenn die EU-Staaten zustimmen. Frühestens Ende Jahr soll auf EU-Ebene ein Gesetzesentwurf zum Verteil-System stehen. Mit dem bereits angekündigten Widerstand aus Osteuropa und Grossbritannien könnte es jedoch auch noch länger dauern.