«Das tut gut», meinte Bundespräsidentin Simonetta Sommaruga zum dritten und bisher grössten Lockerungsschritt. Die Bundesratsmitglieder, die heute auftraten, wirkten fast schon euphorisch: Von einem Land, das wieder aufblüht, war die Rede.
Tatsächlich ist die Liste der Lockerungen eindrücklich und war vor wenigen Wochen in diesem Ausmass schlicht nicht vorstellbar. Der Bundesrat verabschiedet sich mit der Aufhebung der ausserordentlichen Lage zum grössten Teil aus dem Notrechts-Regime. Das Versammlungsverbot wird deutlich gelockert. Grössere Veranstaltungen dürfen wieder durchgeführt werden. Grosseltern dürfen ihre Enkelkinder wieder hüten.
Ein Durcheinander an Massnahmen und Daten
Neben all dieser Freude über den Aufbruch in eine noch etwas normalere neue Normalität muss man aber auch feststellen: Es wird langsam ziemlich unübersichtlich mit all den einzelnen Empfehlungen, Konzepten, Verboten und Geboten. Nicht immer wird für die Bevölkerung klar sein, was nun gilt. Und sind diese Massnahmen nun Teil eines Schutzkonzepts der Branchen selber oder ist es eine bundesrätliche Verordnung?
Auch treten die Lockerungen, die heute beschlossen wurden, an verschiedenen Daten in Kraft. Grösstenteils ab dem 6. Juni. Versammlungen von maximal 30 Personen sind aber schon ab dem 30. Mai erlaubt. Grenzöffnungen dann wieder später. Es herrscht ein ziemliches Durcheinander an Daten und Regeln.
Wie soll man über 30 Personen erkennen?
Ein Beispiel: Vier Personen dürfen ohne Registrierung ins Restaurant. Sind es aber mehr, müssen sie ihre Personalien angeben. Selbst Discos dürfen wieder öffnen, aber ab Mitternacht gilt Sperrstunde.
Auch beim Vollzug gibt es grosse Fragezeichen. Wie die Polizei im öffentlichen Raum kontrollieren soll, ob sich mehr als 30 Personen zusammen versammeln, bleibt rätselhaft. Das Auge sieht sofort, ob es fünf Personen sind. Aber 20 oder über 30 Personen auf die Schnelle zu erkennen, das scheint kaum praktikabel.
Der Bundesrat hat aber offenbar schon erkannt, dass es nun sehr unübersichtlich wird. Denn er kündigte heute auch an, beim nächsten Lockerungsschritt Vereinfachungen zu beschliessen. Für den 24. Juni verspricht die Landesregierung nochmals Lockerungen, aber auch einfachere Regeln.
Möglicherweise kommt die Vereinfachung dann aber zu spät. Denn dieser grosse Aufbruch heute könnte auch so (falsch) verstanden werden, dass die Gefahr vor dem Virus nun gebannt ist, das normale Leben wieder einkehren darf.
Kaum Warnungen vor neuen Ausbrüchen
Dass die tiefen Infektionszahlen, die auch der Bund nach den ersten beiden Lockerungsschritten so nicht erwartet hat, euphorisch stimmen, ist nachvollziehbar. Erstaunlich ist trotzdem, wie wenig der Bundesrat heute vor möglichen neuen Virus-Ausbrüchen gewarnt hat.
Dabei zeigen Infektionen in einem Restaurant und in einem Gottesdienst in Deutschland, dass es sehr schnell neue Hotspots geben kann, die Massnahmen nach sich ziehen müssen.
Strategie fehlt
Unübersichtlich in dieser neuen Normalität bleibt denn auch, wie auf neue Ausbrüche reagiert werden soll. Nach Aufhebung der ausserordentlichen Lage werden die Kantone wieder mehr Verantwortung haben. Sie sollen regionale oder lokale Massnahmen treffen können.
Zwar sollen nun mit Contact Tracing Infektionsketten verfolgt und alle Virusträger aufgespürt werden. Eine eigentliche Strategie, wie auf ein erneutes Aufflammen von Virus-Infektionen reagiert werden soll, scheint die Landesregierung aber nicht zu haben. Auch hier braucht es ein einfaches System.