Der Armreif aus Weissgold ist bei Frau Rossi nie angekommen. Auch das neue Smartphone für Herrn Müller ist nie eingetroffen. Häufig sind es Gelegenheitsdiebe, die Pakete aus Hauseingängen oder Briefkästen stehlen, beobachtet etwa die Kantonspolizei St. Gallen. Mediensprecher Florian Schneider: «Gelegenheit macht Diebe. Je mehr Pakete deponiert sind, desto mehr kommen weg.»
Die Paketdiebe lassen sich allerdings nur in den seltensten Fällen fest machen. «Die Täterschaft ist meistens unbekannt», heisst es beispielsweise bei der Staatsanwaltschaft Basel-Stadt. Fast gleichlautend sind die Antworten von angefragten Polizeikorps.
Der Paketbote als Langfinger
Eine Ausnahme gibt es jedoch: Dann, wenn der Paketbote ein Langfinger ist. Zwar seien solche Fälle – gemessen an allen Paketdiebstählen – Einzelfälle, hält Florian Schneider von der Kantonspolizei St. Gallen fest, aber, «wenn solche Fälle aufgedeckt werden, kommt eine grosse Menge zusammen».
Meist gehen kriminelle Angestellte von Paketlieferdiensten ganz gezielt vor, wie Gerichtsverfahren aus den vergangenen Jahren zeigen: Sie haben es auf Elektronikartikel, Bargeld oder Wertsachen abgesehen. So wie im grössten Fall, der bislang publik wurde: Ein Postangestellter hat in einem Verteilzentrum mindestens 48 Pakete von Schmuck- und Uhrenfirmen mit einem Gesamtwert von fast 800'000 Franken entwendet. In einem der Pakete war auch der besagte Armreif aus Weissgold.
Die Paketlieferdienste geben nur ungern Auskunft über kriminelle Mitarbeitende. Stefan Dauner, Mediensprecher der Post betont: «Bei der Post arbeiten rund 54'000 Angestellte. Aber man muss sehen, dass es absolute Einzelfälle sind.» Auch die anderen Paketlieferdienste sprechen von einer «Randerscheinung». DHL schreibt auf Anfrage: «Inhouse Diebstahl ist ein äusserst seltenes Ereignis, welches entsprechend geahndet wird.»
Grosse Schäden bei Einzelfällen
Gleichwohl ist es ein Phänomen, das regelmässig vorkommt: Praktisch jedes Jahr gibt es einen oder mehrere Verfahren, die zu einem Gerichtsurteil führen. Im vergangenen Jahr hat die Post in rund 40 Fällen Anzeige wegen Paketdiebstahl erstattet – knapp 20 Mal davon gegen eigene Angestellte.
Strenge Sicherheitsmassnahmen in den Paketzentren
Die Unternehmen haben nicht zuletzt deswegen in ihren Verteilzentren umfangreiche Sicherheitsmassnahmen installiert und für Mitarbeitende gelten strenge Regeln: DHL etwa überwacht seine Sortieranlagen mit Videokameras. Bei der Post darf das Personal zudem nur durchsichtige Taschen auf sich tragen und wird beim Ausgang regelmässig vom Sicherheitspersonal durchsucht.
Gerichtsfälle zeigen, dass diebische Paketboten auch auf ihren Zustelltouren gewisse Sendungen mitlaufen lassen. Das Scannen von Sendungen sei deshalb ein wirksames Mittel, um den Weg eines Pakets nachzuverfolgen, so Post-Mediensprecher Stefan Dauner: «Wir wissen, welches Paket wann und von wem geliefert wurde – oder eben auch nicht.» Zudem verfügen alle Paketlieferdienste über interne Ermittlungsteams, die bei Verdacht auf Betrug oder Diebstahl gezielt Nachforschungen anstellen. Viele Fälle von kriminellen Angestellten sind so aufgeflogen.
Gleichzeitig reagieren aber auch die Firmen, die Pakete verschicken: Um Dieben grundsätzlich das Handwerk zu erschweren, setzen sie beispielsweise nur noch auf neutrale Verpackungen und verzichten auf einen Werbeaufdruck – in der Hoffnung, dass beim nächsten Mal der Armreif ankommt.