3500 Tonnen Fliegerbomben, Minen und Handgranaten liegen immer noch im Munitionslager in Mitholz im Kandertal. Ein Albtraum für die Bevölkerung.
Die Armee stellte Fragen, Berichte wurden geschrieben. Man habe nach der Katastrophe 1947 gewusst, dass es weitere Explosionen geben könnte, sagt Bruno Locher, Chef Raum und Umwelt beim VBS: «Man kam zum Schluss, dass dies kein grösseres Ausmass haben würden.» Diese Beurteilung wurde 1986 bestätigt und erst 2018 revidiert.
Man liess die Sache ruhen. Damals gab es auch noch nicht die technischen Möglichkeiten für eine Untersuchung wie heute. Dennoch: Warum hat das 70 Jahre lang niemand hinterfragt?
Bei der Armee ging es auch um Geld, sagt Militärhistoriker Rudolf Jaun: «Man hat Lösungen gesucht – auch kostengünstige. Mitholz hat man als gelöst angeschaut.»
Die Katastrophe von Mitholz 1947
Nicht nur das Militär, auch die Bevölkerung reagierte damals anders als heute. Kurz nach dem Zweiten Weltkrieg zweifelte man nicht an der Armee, sagt Jaun: «Im Kalten Krieg, bis vielleicht in die 1970er Jahre, hat man sehr vieles akzeptiert. Was das Militär machte, hinterfragte man nicht wirklich.»
Deshalb verschoss man in den Schiessständen bleihaltige Munition, ohne dass sich jemand aufgeregt hätte. Dann änderte sich vieles: Politiker und Teile der Bevölkerung wollten die Armee abschaffen, Medien berichteten über tonnenweise versenkte Munition in Schweizer Seen und im Thunersee entdeckte man deformierte Felchen.
Es gab über ein Dutzend Militärabstimmungen. Das belegt einen riesigen Politik- und Mentalitätswandel.
Im Parlament wurden Massnahmen verlangt. Politiker wie der damalige VBS-Chef Samuel Schmid wehrten ab: «Selbst eine minimste potenzielle Gefährdung gibt noch keine unmittelbare Gefahr.» Aber die verborgenen Altlasten und ihre Gefahren für die Umwelt beschäftigten nun Bevölkerung und Medien: «Wer schützt uns vor der Armee?» kommentierte eine Zeitung.
Für Militärhistoriker Jaun ist heute alles, was sich ums Militär dreht, skandalisierungswürdig: «Es gab über ein Dutzend Militärabstimmungen. Das zeigt einen riesigen Politik- und Mentalitätswandel.»
Der Zeitgeist hat geändert, und das ist richtig so.
Das VBS sah sich aber nicht nur einer sensibilisierten Öffentlichkeit gegenüber, es musste auch neue Vorschriften einhalten, etwa die Sprengstoffverordnung. Seit ein paar Jahren listet ein Gefahrenkataster 2550 Orte auf, in denen es belastete Standorte gibt, etwa Schiessanlagen. Auch das Militär muss mit der Zeit gehen.
Hanspeter Aellig, Projektchef für die Räumung in Mitholz, spürt diesen neuen Zeitgeist: «Wir haben noch eine sehr grosse Zahl an Schiessplätzen und es hat immer noch Munition im Boden. Wir haben den Auftrag, diese zeitnah zu räumen. Der Zeitgeist hat geändert, und das ist richtig so.»
Neue Kultur der Nulltoleranz
Der Historiker Michael Olschansky forscht über die Entwicklung des militärischen Denkens. Das habe sich nicht grundsätzlich verschoben, aber heute herrsche eine Kultur der Nulltoleranz, die Sicherheit der Bevölkerung habe absolute Priorität: «Das war vielleicht nach den beiden Weltkriegen anders und hat sich allmählich entwickelt.»
Ein Zeichen für diese Entwicklung sei auch die transparente Information des VBS zur Räumung des Munitionslagers Mitholz. Nicht nur die aktuelle VBS-Vorsteherin Viola Amherd; auch ihr Vorgänger Guy Parmelin reiste persönlich nach Mitholz, um die Bevölkerung zu informieren.
«Echo der Zeit», 26.02.2020, 18:00Uhr; imhm; kurn