Erstmals wollen die Vereinten Nationen Standards für den Umgang mit Migranten festhalten. Der UNO-Migrationspakt listet 23 Ziele auf. Weltweit regt sich Widerstand. Die USA, Ungarn, Australien und Österreich zum Beispiel wollen das Papier nicht unterzeichnen. Auch in der Schweiz wurde der Pakt zum Politikum. Denn es ist ein Pakt, der zwar rechtlich nicht verbindlich ist, aber trotzdem Folgen haben kann, wie Bundeshausredaktor Philipp Burkhardt erklärt.
SRF News: Warum ist das Thema für die Schweiz heikel, wo doch der Pakt rechtlich nicht verbindlich ist?
Philipp Burkhardt: Der Migrationspakt gehört tatsächlich zum sogenannten «Soft Law». Das ist ein Begriff aus dem Völkerrecht. Viele Empfehlungen, Resolutionen und Deklarationen internationaler Organisationen wie der UNO zählen zu diesem «Soft Law». Es ist nicht verbindlich. Aber wirkungslos ist es trotzdem nicht. Es wird erwartet, dass sich die Staaten an das Abgemachte halten.
Im UNO-Migrationspakt zum Beispiel wird immer wieder die Formulierung «Wir verpflichten uns» verwendet. Die Einhaltung wird denn auch kontrolliert. Die UNO will ein «Überprüfungsforum Internationale Migration» einrichten, wie es im Pakt heisst. Dieses wird ab 2022 alle vier Jahre den Staaten auf die Finger schauen, ob sie den Inhalt des Paktes auch tatsächlich umsetzen.
Muss ein Staat mit Sanktionen rechnen, wenn er gegen den Pakt verstösst?
Weil es sich um «Soft Law» handelt, sind direkte Sanktionen oder Repressalien nicht zulässig. Doch auch hier gibt es ein Aber: Staaten, die nicht kooperieren oder gegen «Soft Law» verstossen, werden nach dem Prinzip «name and shame» angeprangert. Es werden schwarze Listen erstellt, die durchaus ihre Wirkung entfalten. Die Erfahrung zeigt auch, dass sich «Soft Law» über die Jahre zu Gewohnheitsrecht mit durchaus verbindlichem Charakter entwickelt. Um einen reinen Papiertiger handelt es sich bei diesem UNO-Migrationspakt also nicht.
Gibt es andere Beispiele für «Soft Law», wo die Schweiz betroffen ist?
Das in der Schweiz bekannteste Beispiel sind wohl die internationalen Standards der OECD zur Bekämpfung der Steuerhinterziehung. Das sogenannte «Global Forum» der OECD überprüft die Einhaltung dieser Standards regelmässig, obschon sie rechtlich nicht verbindlich sind. Die Schweiz wird ebenso regelmässig kritisiert und mit der Drohung, auf der schwarzen Liste zu landen, eingeschüchtert.
Welches sind inhaltlich die Streitpunkte, an denen sich die Schweizer Politik reibt?
Der Migrationspakt ist ein sehr umfangreiches Dokument. 23 Ziele werden aufgelistet, mit zahlreichen Umsetzungsmassnahmen. Diese bleiben teilweise einigermassen diffus. Das lässt viel Interpretationsspielraum zu. Der Bundesrat erkennt nur in einem einzigen Punkt einen Konflikt zum Schweizer Recht: Bei der Ausschaffungshaft, die in der Schweiz schon bei Minderjährigen ab 15 Jahren möglich ist. Das will der Bundesrat so beibehalten und eine entsprechende Erklärung abgeben.
Im Parlament erkennt man aber noch zahlreiche weitere mögliche Konflikte. Zudem ist natürlich auch die generelle Stossrichtung des Paktes umstritten. Wörtlich heisst es darin: «Wir wollen eine sichere, geordnete und reguläre Migration erleichtern». Wer das nicht gut findet, ist natürlich gegen diesen Pakt.
Das Parlament stört sich grundsätzlich daran, dass es zum UNO-Migrationspakt nichts zu sagen hat. Zieht es daraus Konsequenzen?
Im Parlamentsgesetz ist festgehalten: «Die Bundesversammlung wirkt bei der Willensbildung über wichtige aussenpolitische Grundsatzfragen und Entscheide mit.» Weil der Bundesrat immer häufiger internationales «Soft Law» übernimmt, fühlt sich das Parlament zunehmend übergangen. Der UNO-Migrationspakt dürfte nun der Tropfen sein, der das Fass zum Überlaufen bringt.
Die staatspolitische Kommission des Nationalrats verlangt, dass der Entscheid über die Unterschrift unter den Pakt dem Parlament unterbreitet wird. Die aussenpolitische Kommission will die Mitsprache des Parlamentes bei «Soft Law» ganz generell gesetzlich verankert haben. Die grosse Frage wird sein: Ab wann kann man tatsächlich von «wichtigen aussenpolitischen Grundsatzfragen und Entscheiden» sprechen, die dem Parlament unterbreitet werden müssen.
Das Gespräch führte Brigitte Kramer.