Es ist der 3. März 1976. Ein Schuss kracht und zerreisst die friedliche Stille oberhalb von Seewis im Prättigau. Ein Steinadler fällt tot vom Baum. Das geschützte Tier zur Strecke gebracht hat der einheimische Jäger Luzi Krättli. Für ihn, den Hühnerbauern, sei es so etwas wie Notwehr gewesen, sagt die Jägerin und heutige Gemeindepräsidentin von Seewis Nina Gansner.
«Laut den Akten hatte sich ein Adlerpaar auf seine Hühner spezialisiert. Offenbar wurde es ihm irgendwann zu bunt, er griff zum Stutzer und hat dann tatsächlich getroffen», erzählt Gansner. Krättli wurde verurteilt und musste 250 Franken Busse bezahlen.
Den gewilderten Vogel gibt es heute noch. Er steht seit Jahren ausgestopft im Seewiser Gemeindehaus - zur Erinnerung an diesen Teil der Dorf-Geschichte. Die Episode von Jäger Krättli und dem Adler wurde gar in einem Gedicht festgehalten.
Das Jagdfieber, es befällt auch heute noch manchen ausserhalb der regulären Jagdzeiten. Dabei hätten es die Wilderer heute vor allem auf prächtige Geweihe abgesehen.
Es geht bei vielen Wilderern heutzutage um Trophäen.
Zu diesem Schluss kommt Heinrich Haller. Der ehemalige Direktor des Schweizerischen Nationalparks hat sich intensiv mit dem Phänomen auseinandergesetzt und ein Buch zur Wilderei geschrieben.
«Es geht bei vielen Wilderern heutzutage um Trophäen. Diese lassen sich illegal, ohne Jagdregeln, leichter beschaffen als auf der ordentlichen Jagd», erklärt Haller.
Aber es geht auch um den Nervenkitzel: «Wildern heisst, wild sein. Es geht immer um den Kick, um den Adrenalinkick. Dort ist der Hund begraben.» Das sagt einer, der in jungen Jahren selbst gewildert hat. Der Mann will anonym bleiben.
Es geht immer um den Kick, um den Adrenalinkick.
Für ihn sei Wildern eine Sucht gewesen. Mittlerweile könne er dem Drang aber widerstehen. Seit 25 Jahren sei er nicht mehr illegal auf der Pirsch gewesen.
Der Reiz des Verbotenen hat in den letzten Jahren im Prättigau, aber nicht nur, immer wieder Wilderer zu illegalen Abschüssen verleitet. Mehrere Fälle sind publik geworden. Sie bedienen ein Klischee, das den Prättigauern anhaftet. Sie hielten sich nicht gerne an Gesetze und lehnten sich gegen die Obrigkeit auf.
«Vorurteile», sagt dazu Gemeindepräsidentin Gansner. «Ich glaube es hat eher etwas mit der Grenznähe zu tun und der Bekanntheit der Region wegen des hohen Hirschbestands.»
Die Nähe zum Ausland spiele tatsächlich eine Rolle, bestätigt auch Heinrich Haller. «Wilderei kann überall auftreten, aber es ist so, dass sie in gewissen Grenzregionen häufiger ist».
Man habe beobachtet, dass Wilderer aus dem Ausland in die Schweiz gekommen seien. Es gebe gewisse Hotspots, so habe man in den letzten Jahren auch immer wieder von Wilderei im Wallis gehört.
Ein riesiges Problem sei die Wilderei in der Schweiz aber nicht, sagt der ehemalige Nationalpark-Chef. Er spricht von Einzelfällen.
Wie verbreitet Wilderei im Jagdkanton Graubünden ist, lässt sich nicht sagen. Mit wie vielen Fällen sich Polizei und Staatsanwaltschaft jährlich beschäftigen ist unklar, offizielle Zahlen fehlen. Bei der Staatsanwaltschaft heisst es auf Anfrage, es seien etwa zwei bis drei Fälle pro Jahr.
Die Strafe für Wilderei reicht von einer Busse bis zu einer Gefängnisstrafe von maximal einem Jahr.