Drei Vorwürfe an die Adresse des Grenzwachtkorps (GWK) im Tessin stehen im Raum: Asylsuchende sollen zurückgewiesen worden sein, obwohl sie um Schutz und Asyl gebeten haben; Familienzusammenführungen sollen verweigert worden sein, unbegleitete Minderjährige seien zurückgeschickt worden.
In einem internen Bericht einer in Como tätigen Schweizer NGO sind 49 Fälle namentlich erwähnt, die den Schluss nahelegen, dass es beim Grenzwachtkorps zu Fehlentscheidungen gekommen ist.
Die Migranten haben uns gegenüber andere Angaben gemacht als gegenüber den NGO.
Mauro Antonini, Kommandant der Region 4 im Grenzwachtkorps, der über die Tessiner Südgrenze befiehlt, bestreitet dies: «Das Grenzwachtkorps hat die Berichte erhalten und die Fälle überprüft. Es hat sich herausgestellt, dass die Migranten gegenüber dem Grenzwachtkorps andere Angaben gemacht haben als gegenüber der NGO.»
Für Antonini ist klar: Die Annahme von Asylgesuchen sei in Chiasso nie verweigert worden.
Er räumt aber ein: unbegleitete Minderjährige würden nach Italien zurückgeschafft. «Bei Minderjährigen im Alter von 16 bis 18 Jahren gehen wir so vor, wenn sie kein Asylgesuch stellen. Sie werden der italienischen Grenzpolizei übergeben.» Was dann geschehe, wisse er nicht, sagt Antonini. Die Verantwortung liege bei den italienischen Behörden.
Die Spitze des Eisbergs
Die Schweiz müsse auch abklären, woher diese Minderjährigen kommen, entgegnet Denise Graf, Asylexpertin bei Amnesty International. Das Staatssekretariat für Migration (SEM) sei zuständig, die Rückschaffung nicht statthaft: «Es ist absolut notwendig, dass unbegleitete Minderjährige, die an der Grenze sagen, sie möchten zu ihrer Familie, an das SEM weitergewiesen werden.»
Dieses müsse dann, fährt Graf fort, im Rahmen des Dublin-Abkommens abklären, ob es auf das Gesuch einzutreten habe. Oder ob es die Jugendlichen nach Italien zurückweisen könne.
In Como werden rund 100 Minderjährige teilweise von einer Kirchgemeinde betreut, teilweise leben sie im Park nahe des Bahnhofs. Doch sie sind nur die Spitze eines Eisbergs. Gemäss UNHCR sind seit Januar 15'000 in Italien gelandet. Und die meisten von ihnen werden nicht adäquat betreut.