Das Wichtigste in Kürze
- An Milchkuh-Ausstellungen steht das pralle Euter im Zentrum. Besitzer dehnen die Melkzeiten aus und damit keine Milch tropft, verkleben sie die Zitzen.
- Eine Kuh, die zu lange nicht gemolken wurde, leidet. Eine aktuelle Studie zeigt: 23 Prozent der Kühe, die an Ausstellungen untersucht wurden, wiesen Euter-Ödeme auf.
- Um das Leiden der Tiere zu verringern, gelten seit Januar an Viehausstellungen neue Regeln.
- Die Nervosität der Züchter ist gross. Als Tierschützer die Einhaltung der Regeln überprüfen wollten, kam es bei der Expo in Bulle zum Handgemenge.
Eine Kuhausstellung ist ein Volksfest. Jeder will die schönste Kuh in den Ring führen, frisiert sie, cremt sie ein, bringt sie mit Sprays zum Glänzen. Für die Züchter ist eine Ausstellungskuh ein glückliches Tier: «Die meisten Kühe hier geniessen eine gute Pflege und haben ein schönes Leben», sagt Holstein-Kuhzüchter Patrick Rüttimann. «Ausstellungskühe werden älter, haben eine höhere Lebensleistung und sind gesünder als der Schweizer Durchschnitt.»
Eine Kuh mit übervollem Euter leidet
Doch dieses Jahr ist an der Ausstellung Expo Bulle Nervosität spürbar: «Wenn es neue Regeln gibt, gibt es eine gewisse Unruhe», sagt Pascal Monteleone, Geschäftsführer des Verbandes der Holsteinzüchter. «Ich mache mir jedoch keine Sorgen, das kommt gut.»
Der Grund für die Nervosität sind neue Regeln, die zum Schutz der Kühe eingeführt worden sind. Im Fokus stehen die prall gefüllten Euter der Milchkühe. Es ist wissenschaftlich bewiesen und international anerkannt: Eine Kuh, mit einem übervollen Euter ist in ihrer Gesundheit beeinträchtigt – sie frisst kaum mehr und kann nur mühsam gehen. Wir sie nicht gemolken, steigt der Druck im Euter an, es können sich Wasseransammlungen, sogenannte Ödeme, im Euter bilden.
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23 Prozent der untersuchten Kühe mit Ödem
Im Rahmen einer Studie untersuchte Adrian Steiner zusammen mit einem Team der Vetsuisse Fakultät der Uni Bern Ausstellungskühe auf Ödeme. Das Resultat: Ganze 23 Prozent der Kühe hatten eine Wasseransammlung im Euter.
Dieses Resultat hat nun Konsequenzen auf die Kuhprämierungen: Seit Januar müssen bei jedem Wettbewerb die beiden erst platzierten Kühe direkt nach der Vorführung zum Ultraschall geführt werden. Tierärzte untersuchen ihre Euter auf Ödeme. Diese Methode ist seit wenigen Tagen international anerkannt.
Dieses Kontroll- und Sanktionssystem ist viel zu milde.
Je nach Schweregrad des gefundenen Ödems (1 ist das leichteste, 3 das schwerste), hat das Konsequenzen für den Halter. 1. Grad bedeutet, die Kuh muss um vier Liter Milch erleichtert werden. Bei Grad 2 und Grad 3 muss die Kuh ganz gemolken werden, sie wird vom Wettbewerb disqualifiziert. Zudem kann es für den Besitzer eine Strafanzeige zur Folge haben.
«Die Kühe werden trotzdem gequält»
Dieses Kontroll- und Sanktionssystem sei viel zu milde, kritisiert Julika Fitzi, Tierärztin beim Schweizer Tierschutz, STS und langjährige Beobachterin von Milchkuhausstellungen: «Die Kühe werden trotzdem gequält bis zum Punkt, wo sie vielleicht zufällig, weil sie eine der zwei bestklassierten sind, entdeckt werden.» An der Quälerei als solches ändere sich nichts. Denn es sei für einen Halter nicht tragisch, einer Kuh nach dem Wettbewerb vier Liter abzumelken.
Es geht in erster Linie darum, die Kuh zu erleichtern und nicht darum, den Züchter zu bestrafen.
Die Tierärztin versteht nicht, warum die Besitzer erst ab Schweregrad 2 mit Konsequenzen rechnen müssen. Kaspar Jörger vom Bundesamt für Veterinärwesen verteidigt die fehlenden Konsequenzen bei Schweregrad 1: «Bei Grad 1 ist das Risiko zu gross, dass man vor Gericht nicht durchkommt, das wollten wir nicht.» Da könne der zuständige kantonale Veterinärdienst nach Ermessen zusätzliche Massnahmen verfügen. Zudem gehe es in erster Linie darum, die Kuh zu erleichtern und nicht darum, den Züchter zu bestrafen.
Die neue Ultraschall-Methode wurden dieses Jahr an den drei grossen Milchvieh-Ausstellungen angewendet: An der «Tier und Technik» in St. Gallen (Der Befund: 2x Grad 1, 1x Grad 2), an der «Swissexpo» in Lausanne und an der «Expo Bulle» (7x Grad 1, 3 x höher). Die Organisatoren der «Swissexpo» in Bulle gaben gegenüber «Kassensturz» keine Zahlen bekannt.
Zitzen mit Sekundenkleber «versiegelt»
Die Kuh lange nicht zu melken ist die eine Methode der Züchter, das Kuh-Euter möglichst prall zu füllen, die zweite Methode ist, die Zitzen der Euter zu verkleben, damit keine Milch aus den prall vollen Eutern abfliessen und den Kühen Erleichterung verschaffen kann. Die Züchter nennen das «versiegeln».
Das Verkleben der Zitzen mit achtprozentigem Collodium, einem Klebstoff, der auch in der Medizin verwendet wird, ist weiterhin erlaubt. Klar verboten ist jedoch Sekundenkleber. Tierärztin Julika Fitzi sagt: «Niemand kann vor Ort prüfen, was in den Collodium-Behältern tatsächlich drin ist. Zudem haben wir beobachtet, wie Leute Sekundenkleber verwendeten.»
Handgreiflichkeiten im Ausstellungsstall
Fitzi und ihr Team bekamen die Nervosität der Züchter besonders zu spüren: «Als wir an der «Expo Bulle» im Stall waren, wollten mich die Leute vertreiben. Es gab ein Handgemenge und kam zu Handgreiflichkeiten. Gott sei Dank waren Personen in meiner Nähe, die mich beschützt und heraus begleitet haben.»
Dazu schreiben die Organisatoren, die Tierschützer seien nicht akkreditiert gewesen und hätten sich am Eingang nicht gemeldet. Dies verstosse gegen ihr Sicherheitsprinzip. Die Verantwortlichen hätten alles unternommen um die Stimmung zu beruhigen und die Personen zum Ausgang zu begleiten.