Es regnet in Strömen, als sich rund 30 Mitglieder des Forstpersonalverbands Solothurn oberhalb von Welschenrohr treffen. Zum ersten Mal schauen sich die Förster das Wisent-Projekt Thal aus nächster Nähe an.
Denn seit bald zwei Jahren leben im Solothurner Jura acht Wisente. Es ist ein Versuch, das grösste Wildtier in Europa im Solothurner Thal wieder anzusiedeln. Das Projekt stösst seit jeher auf grosses Interesse, aber auch auf Skepsis und Kritik.
Zu den grössten Skeptikern gehören die Försterinnen und Förster. Sie befürchten, dass die Wisente zu viele Bäume «abschälen». Denn der europäische Bison liebt es, Baumrinde abzuknabbern. Die Bäume können dadurch absterben oder sind durch fehlende Rinde den Pilzsporen schutzlos ausgeliefert.
Jedes Mal, wenn ich einen Wisent sehe, bin ich fasziniert.
Adrian Widmer ist Revierförster im Dünnerntal, wo die Wisente angesiedelt wurden. Er hat mit den eindrücklichen Tieren schon mehrmals Bekanntschaft gemacht. «Jedes Mal, wenn ich einen Wisent sehe, bin ich fasziniert», sagt Widmer. «Aber der Wisent hat auch seine Kehrseite». Widmer zeigt auf eine abgeschälte Stelle an einem Baum. «Der rund 30-jährige Bergahorn könnte durch die Schäden faulen oder gar absterben.»
Das ist besonders heikel, weil die Forstbetriebe eigentlich neue Baumarten aufbauen wollen. Sogenannte «klima-fitte» Arten, die besser mit Hitze und Trockenheit zurechtkommen. Förster Adrian Widmer trifft in seinem Revier aber häufig auf durch Wisente verursachte Schäden und macht sich Sorgen.
Auch Mitte-Kantonsrat und Präsident des Solothurner Forstpersonalverbands Georg Nussbaumer ist kritisch. «Natürlich ist der Wisent ein schönes Tier, aber wir haben trotzdem grosse Bedenken.» Neben dem Wisent bereite auch der Rothirsch grosse Sorgen. Durch das Reiben des Geweihs an Bäumen oder das Abfressen von Trieben verursacht auch dieses Tier Schäden im Wald. «Ob es neben dem Rothirsch jetzt noch den Wisent verträgt – das sehen wir kritisch», so Nussbaumer.
Wisent-Dichte im Testgebiet ist 20-mal höher
Otto Holzgang, der Leiter des Wisent-Projekts, relativiert: «Im Testgebiet haben wir eine viel zu hohe Dichte an Wisenten – rund 20-mal so viele Tiere leben hier, als es in der Natur der Fall wäre», erklärt er. Das heisst: Wäre der Wisent ein Wildtier, gäbe es auf einem Gebiet insgesamt weniger Baumschäden, weil sich die Tiere besser verteilen würden.
Der Austausch mit dem Forstpersonalverband sei sehr konstruktiv gewesen, findet Otto Holzgang. «So können wir auf die Kritikpunkte reagieren.» Aktuell sollen Versuche aufgegleist werden, wie man einzelne Baumarten vor dem Wisent schützen könnte.
In zwei Jahren muss der Verein einen ersten Zwischenbericht abliefern. Dann steht die nächste Projektphase bevor: Das Gebiet der Wisente soll auf rund 100 Hektare vergrössert werden. Nach total zehn Jahren wird Bilanz gezogen. Wenn die Wildtierbiologinnen und -biologen und der Bundesrat grünes Licht geben, streift der Wisent ab 2032 als Wildtier durch die Schweizer Wälder.