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Wohngruppen in der Pandemie «Die Umsetzung der Covid-Massnahmen funktioniert praktisch nicht»

Die Pandemie belastet Menschen mit einer geistigen Behinderung und deren Betreuerinnen sehr. Ein Beispiel aus dem Kanton Aargau.

Abstand halten, Maske tragen, Hände waschen: Die Verhaltensregeln gegen die Coronapandemie sind bekannt und eigentlich auch einfach – wenn man sie versteht. Gerade das sei aber eine grosse Herausforderung für Menschen mit einer geistigen Behinderung, sagt Werner Sprenger, Direktor der Stiftung Schürmatt, die im aargauischen Zetzwil ein Heim betreibt.

Die Wenigsten akzeptieren die Maske, sie ziehen sie immer wieder aus.
Autor: Werner Sprenger Direktor der Stiftung Schürmatt

60 Erwachsene mit einer kognitiven Beeinträchtigung leben dort. Die Verhaltensregeln könne man nicht wirklich umsetzen, sagt Sprenger: «Die Wenigsten akzeptieren die Maske, sie ziehen sie immer wieder aus. Distanz einhalten funktioniert auch nicht und wir können die Menschen auch nicht einfach auf ihre Zimmer beordern.»

Weiss Gebäude in L-Form hinter Acker.
Legende: Im Wohnheim der Stiftung Schürmatt in Zetzwil (AG) halfen nach einem grossen Covid-Ausbruch Zivilschützer aus. zvg/Stiftung Schürmatt

Ausserdem nehmen die Bewohnerinnen und Bewohner laut Sprenger oft die Hände in den Mund und greifen nach Gegenständen, was dazu führe, dass sich die Viren gut verteilten. Die Stiftung Schürmatt mit ihrem Wohnheim in Zetzwil war also gefordert. Es stellte sich die Frage: Wie kann eine Verbreitung des Virus verhindert werden, wenn die Verhaltensregeln nicht funktionieren?

Das ist jetzt ein hoher Verlust der Lebensqualität.
Autor: Werner Sprenger Direktor der Stiftung Schürmatt

Die Stiftung Schürmatt entschied, die verschiedenen Gruppen des Wohnheims strikt voneinander fernzuhalten, Aktivitäten zurückzufahren und allgemein den Betrieb zu isolieren. Es sei eine harte Massnahme für die Bewohnerinnen und Bewohner, bedauert der Direktor: «Unsere Leute gehen gerne zu anderen Leuten oder in den Wald. Das ist jetzt ein hoher Verlust der Lebensqualität.»

Und dann kam der grosse Covid-Ausbruch

Viele Monate lang ging diese Strategie auf, nur vereinzelt infizierten sich Bewohnerinnen und Betreuer. Dann aber veränderte sich die Situation Ende Januar schlagartig. Die Fallzahlen schossen plötzlich in die Höhe, fast die Hälfte der Bewohner wurden positiv auf Covid getestet. Mehrere mussten in ein Spital verlegt werden, eine Person verstarb. Hinzu kam, dass sich auch viele Angestellte des Wohnheims ansteckten.

«Das war wirklich ein Notfall», sagt Werner Sprenger. Zivilschützer halfen schliesslich dem Wohnheim aus seiner misslichen Lage. Inzwischen ist der Corona-Ausbruch unter Kontrolle. In Zetzwil hofft man, dass bald mehr Impfstoff zur Verfügung steht; gehören doch viele Menschen mit einer Behinderung zur Risikogruppe.

Das sagt der nationale Verband

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In der Schweiz gibt es zwischen 25'000 und 28'000 Wohnplätze für Menschen mit einer Behinderung, schätzt INSOS, der nationale Branchenverband der Dienstleistungsanbieter für Menschen mit Behinderung. Zahlen über Ansteckungen mit Covid, Hospitalisierungen und Todesfälle in Wohnheimen hat INSOS nicht.

Tschoff Löw, Leiter Politik und Kommunikation, schätzt auf Anfrage von SRF, dass die Zahlen im Vergleich mit Alters- und Pflegheimen viel tiefer sein dürften. Von einzelnen Ausbrüchen in Institutionen habe man aber Kenntnis.

Wichtig ist laut Löw, dass die Informationen bezüglich der Schutzmassnahmen spezifisch und detailliert aufbereitet würden, dass beispielsweise mit leichter Sprache oder Videos Sachverhalte erklärt würden. «Denn was nachvollziehbar und verständlich ist, das stösst ganz allgemein auf eine bessere Akzeptanz.»

Regionaljournal Aargau Solothurn, 11.02.2021, 17.30 Uhr ; 

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