Wer in der Oberwalliser Gemeinde Visperterminen im Vispertal einen Wolf sucht, muss nicht lange suchen. Er ziehe regelmässig mitten durchs Wohngebiet, so der Gemeindepräsident von Visperterminen, Niklaus Heinzmann. Damit nicht genug: «Es ist ein mulmiges Gefühl, wenn man die Tiere in der Nacht heulen hört.»
Wie laut das Wolfsgeheul tönt, zeigt ein Video, das seit Wochen in der Region kursiert:
Dass sich der Wolf so nahe an den Siedlungen aufhält, beunruhigt die Bevölkerung zunehmend, so auch eine Rentnerin aus Visperterminen: Sie ist Grossmutter und hat Angst, wenn die Kinder abends alleine im Dorf unterwegs sind – und der Wolf jederzeit auftauchen kann.
Es ist ein mulmiges Gefühl, wenn man sie in der Nacht heulen hört.
Das Bergdorf Visperterminen liegt auf knapp 1300 Meter über Meer, am Eingang des Vispertals – und im Revier des Nanzrudels. Diese Wölfe haben im Sommer und Herbst letztes Jahr knapp 60 Schafe und Ziegen gerissen. Aber jagen darf man das Rudel nicht; das Bundesverwaltungsgericht hat die Jagd gestoppt.
Der Ärger in der Gemeinde Visperterminen und beim Gemeindepräsidenten Niklaus Heinzmann ist entsprechend gross: «Einerseits will man das Gesetz und die Ordnung befolgen, andererseits denkt man: Gopffriedstutz, wie kann es sein, dass ein Wolf mehr wert ist als jedes Nutztier?»
Auf der anderen Seite des Vispertals, nur einige Kilometer Luftlinie entfernt, liegt das Dorf Zeneggen. Es gehört zum Revier des Augstbordrudels, und auch hier hat der Druck der Wölfe in den letzten Jahren zugenommen. Der Unterschied zu Visperterminen: In Zeneggen darf die Walliser Wildhut die Wölfe jagen.
Seit anfangs Dezember hat man dort zehn Wölfe geschossen (Stand 15. Januar 2024). Ganz zur Freude von Gemeindepräsident Andreas Imstepf: Er sei stolz auf die Jäger und die Wildhut. Gleichzeitig bedauert er, dass es im Nachbardorf Visperterminen nicht auch so laufen kann: «Die hatten dort mehr Risse als wir hier.»
Gopffriedstutz, wie kann es sein, dass ein Wolf mehr wert ist als jedes Nutztier?
Eine Erklärung für diese Ungleichbehandlung liefert Isabelle Germanier von der Gruppe Wolf Schweiz: In Visperterminen hätten die Bauern die Schafe und Ziegen zu wenig geschützt.
Von 58 gerissenen Nutztieren seien nur sieben geschützt gewesen. «In 32 Fällen wäre Herdenschutz zumutbar gewesen.» Und in der Jagdverordnung heisse es ganz klar, dass die Mehrheit der gerissenen Schafe geschützt gewesen sein müssten.
Wolfsjagd noch bis Ende Januar
Der Gemeindepräsident von Visperterminen, Niklaus Heinzmann, kontert: Einmal mehr fühle man sich nicht verstanden. «Für die Schreibtischjuristen im warmen Büro ist es vielleicht einfacher, sich auf Zahlen und Fakten zu beschränken, anstatt sich vor Ort bei der Bevölkerung zu informieren.»
Die Jagd auf den Wolf dauert noch bis Ende Januar. Dann schliesst sich das Zeitfenster für die Wolfsjagd. In Visperterminen muss die Bevölkerung weiterhin mit dem Wolf leben. In Zeneggen hingegen ist das Rudel nun tot, aber die nächsten Wölfe kommen bestimmt.