Im ersten Moment klingt es wie eine Erleichterung: Seit das neue Bürgerrechtsgesetz 2018 in Kraft ist, können sich Ausländerinnen und Ausländer bereits nach zehn Jahren in der Schweiz um die Staatsbürgerschaft bewerben – zuvor mussten sie dazu mindestens zwölf Jahre im Land gelebt haben.
Doch beim genauen Hinsehen zeigt sich: An anderer Stelle wurde das Gesetz verschärft. So müssen Einbürgerungswillige heute über eine Niederlassungsbewilligung verfügen, eine Aufenthaltsbewilligung reicht nicht mehr. Und: Sie müssen einen standardisierten Test in einer Landessprache bestehen, bevor das Einbürgerungsverfahren überhaupt losgeht.
Luzern bürgert deutlich mehr Deutsche ein
Die Gesetzesänderung von 2018 wirkt sich auf die Zahl der Einbürgerungen aus. Erhielten 2017 noch rund 46'000 Ausländerinnen und Ausländer den Schweizer Pass, waren es 2020 gerade noch gut 35'000.
Wobei sich der Rückgang nicht auf alle Herkunftsländer gleich verteilt. Das zeigt ein Blick in die Einbürgerungsstatistik der Stadt Luzern: 2020 erhielten dort fast doppelt so viele Deutsche das Schweizer Bürgerrecht wie im Vorjahr – die Zahl der Eingebürgerten aus Sri Lanka dagegen sank um drei Viertel.
«Für Menschen aus dem deutschsprachigen Raum ist die Einbürgerung einfacher geworden», sagt Felix Kuhn, Präsident der Luzerner Einbürgerungskommission. «Wer dagegen aus Afrika, dem arabischen Raum oder aus Sri Lanka stammt, der ist häufig chancenlos.» Nicht, weil seine Kommission solche Menschen ablehne – sondern weil sie ein Einbürgerungsgesuch gar nicht erst stellen könnten.
Wer aus Sri Lanka oder Afrika stammt, der ist häufig chancenlos.
Dieser Trend ist schweizweit feststellbar, sagt Walter Leimgruber, Präsident der Eidgenössischen Migrationskommission. «Es zeigt sich, dass das Einbürgerungsprozedere für Hochqualifizierte einfacher geworden ist, während für Menschen mit Migrations- oder eher bildungsfernem Hintergrund die Hürden nun höher liegen als früher.»
«Einbürgerungspraxis führt zu Zweiklassengesellschaft»
Die Auswirkungen davon könnten längerfristig problematisch sein, glaubt Leimgruber. «Das führt zu einer Zweiklassengesellschaft. Gewisse Einwanderer müssen die Erfahrung machen, dass das Bürgerrecht für sie unerreichbar bleibt und sie offenbar nicht willkommen sind. Das Resultat ist Resignation, Gleichgültigkeit gegenüber Themen, die wir als Gesellschaft in diesem Land gemeinsam bewältigen müssen.»
Ausserdem verpasse es die Schweiz so, das Potential der Einbürgerungswilligen auszuschöpfen. «Wir wissen, dass bei Eingebürgerten das Engagement steigt, auch im Beruf», sagt Walter Leimgruber. Ihr Einkommen steige um über 10 Prozent, etwa weil sie sich weiterbildeten und so ihre Jobchancen verbesserten.
Leimgruber fordert deshalb, die Zulassungskriterien fürs Einbürgerungsverfahren zu lockern und den Sprachtest neu zu gestalten. «Diese Tests benachteiligen Menschen mit bildungsfernem Hintergrund. Sie sind sich nach Jahren im Arbeitsalltag solche Prüfungssituationen nicht gewohnt.»
«Jeder hat Gelegenheit, eine Landessprache zu lernen»
Keinen Anlass für Lockerungen sieht der Zürcher SVP-Nationalrat Gregor Rutz. Er war 2014 an der Debatte zum Bürgerrechtsgesetz im eidgenössischen Parlament beteiligt und sagt: «Die Voraussetzungen fürs Einbürgerungsverfahren sind absolut erfüllbar.»
Die Voraussetzungen sind absolut erfüllbar.
Die Niederlassungsbewilligung sei Zeichen, dass jemand in der Schweiz integriert sei, so Rutz. Auch auf die Kenntnisse einer Landessprache zu beharren, sei richtig – schliesslich sei die Einbürgerung mit dem Recht auf politische Mitsprache verbunden. Eine drohende Zweiklassengesellschaft sieht Gregor Rutz nicht aufziehen: «Jeder, der hier lebt, hat genügend Gelegenheit, um eine Landessprache zu lernen.»