- Deutsche Reichsbürger haben sich im Sommer zu einem Seminar am Walensee getroffen. Am Anlass wurde der Holocaust bezweifelt.
- Das Seminar wurde vom bekannten deutschen Reichsbürger Matthias Weidner geleitet. Als Referent trat auch ein Vorstandsmitglied einer SVP-Lokalsektion auf.
- Der Verfassungsschutz Bayern stellt fest, dass deutsche Reichsbürger in die Schweiz ausweichen als Folge der Repression gegen Reichsbürger in Deutschland.
- Rund 19'000 sogenannte Reichsbürger gibt es in Deutschland. In der Schweiz sollen rund 300 Personen zur Szene gehören, die hierzulande friedlicher auftritt.
Im Juli treffen sich drei Tage lang rund ein Dutzend Reichsbürger zum «Intensivseminar» in einem Hotel am Walensee. «Überleben im Willkürstaat» – so der Titel des Seminars. Geleitet wird der Anlass vom deutschen Matthias Weidner, eine in der Reichsbürger-Szene prominente Stimme.
Was die Reichsbürger nicht wissen: Am Seminar nehmen auch zwei deutsche Investigativ-Journalisten von «Correctiv» und ZDF teil. Sie haben sich unter falschem Namen angemeldet. Am Seminar machen sie verdeckt Bildaufnahmen und verfassen Gedächtnisprotokolle.
Zweifel am Holocaust
Am Walensee wird die ganze Palette von Reichsbürger-Verschwörungstheorien aufgetischt. Im Kern erklärt Seminarleiter Weidner, die Bundesrepublik stehe unter Fremdverwaltung der Alliierten. Einige «superreiche» Familien würden die Welt besitzen und eine geheime Weltregierung halte alle Fäden in den Händen.
Am Seminar geht es auch um den Zweiten Weltkrieg und den Holocaust. In den Protokollen der anwesenden Journalisten stellt Weidner den Holocaust in Frage – er zweifelt an der Existenz der Gaskammern. So hätten laut Weidner Maurer aus Dachau erzählt, dass sie die «angeblichen» Vergasungskammern erst nach dem Zweiten Weltkrieg gebaut hätten. Und die Kleidung, die in Schulbüchern als Sträflingskleidung der jüdischen Insassen in den Konzentrationslagern abgedruckt sei – sei in Wahrheit von deutschen Soldaten getragen worden.
SVP-Mitglied hält ein Referat
Am zweiten Tag wird am Reichsbürger-Seminar ein Referent aus der Schweiz vorgestellt: Michael Räumelt, ein deutscher Unternehmensberater, der in Graubünden lebt. Räumelt ist auch Vorstandsmitglied und Mediensprecher der SVP-Sektion Viamala. Der Berater referiert am Walensee gemäss Programm über «bewährte und praktizierte Möglichkeiten der Vermögenssicherung für Einzelne / Familien / Selbständige / Unternehmer im Ausland».
Räumelt macht am Seminar aber auch fragwürdige Aussagen über angebliche Kindswegnahmen, ein typisches Reichsbürger-Thema. Sinngemäss erklärt er, in Deutschland würden pro Tag über 100 Kinder ihren Eltern weggenommen. Die Dunkelziffer sei höher als 80’000 im Jahr, es gehe sogar in die 100’000 rein. Der Unternehmensberater führt aus, diese Kinder würden dann teilweise von gleichgeschlechtlichen Paaren adoptiert werden.
Die «Rundschau» konfrontiert Räumelt mit seinen Aussagen. Er steht zu dem, was er am Seminar gesagt hat und wehrt sich: «Es ist eigentlich skandalös, dass man es als Verschwörungstheorie betrachtet, wenn man ein Herz für Kinder hat und sich für betroffene Eltern einsetzt. Ich glaube nicht, dass es verwerflich ist, wenn man sich für das Wohl dieser Kinder wie auch der Eltern einsetzt und dementsprechend recherchiert.»
Während meiner Zeit (...) ist mir in dieser Diskussionsrunde definitiv nichts aufgefallen, was irgendwo in Richtung Reichsbürger hätte hinführen können.
Er habe nicht gewusst, dass es ein Reichsbürger-Seminar war. «Hätte ich das gewusst, wäre ich dort gar nicht erst erschienen.» Er habe sich an einem Unternehmer-Seminar geglaubt. «Während meiner Zeit, es waren maximal zwei Stunden an einem Samstagvormittag, ist mir in dieser Diskussionsrunde bei diesen Unternehmern definitiv nichts aufgefallen, was irgendwo in Richtung Reichsbürger hätte hinführen können.» Räumelt distanziert sich klar von Reichsbürger-Ideologie und Holocaust-Leugnung.
Die SVP Graubünden will den Auftritt ihres Parteimitglieds am Reichsbürgertreffen zurzeit nicht kommentieren. Auch Seminarleiter Matthias Weidner ist nicht bereit, Fragen zu beantworten. Er teilt schriftlich mit, eine Befragung zur «sogenannten Reichsbürgerbewegung» könne nicht stattfinden.
Reichsbürger weichen in die Schweiz aus
Dass sich deutsche Reichsbürger in der Schweiz treffen, ist kein Zufall. Man stört sich an den strengen Kontrollen durch die Polizei in Deutschland, ist unter anderem am Seminar am Walensee zu hören. So lautet einer der Programmpunkte auch: «Freiheit bewahren trotz Überwachung».
Die Reichsbürger-Bewegung wird vom deutschen Verfassungsschutz als Bedrohung eingestuft. Die deutsche Polizei geht oft hart gegen Reichsbürger vor.
Die Repression in Deutschland führt offenbar dazu, dass die Szene nun teilweise in die Schweiz ausweicht.
Mitgliederzahl steigt rasant an
Burkhard Körner, Präsident des Verfassungsschutzes Bayern, erklärt gegenüber der «Rundschau»: «Wir stellen immer wieder fest, dass tatsächlich Ausweichmanöver stattfinden. Dort, wo der Repressionsdruck am höchsten ist, versucht man natürlich letztlich auszuweichen. Beispielsweise haben auch massive Strafverfahren in Österreich dazu geführt, dass die dortige Szene abgeschmolzen ist. Man muss jetzt sehr genau hinschauen, ob Personen aus der österreichischen Szene nach Deutschland oder in die Schweiz gehen.»
Laut der Bundesregierung gibt es in Deutschland 19'000 Reichsbürger und Selbstverwalter. Ihre Zahl stieg in den letzten Jahren rasant an. Hunderte Reichsbürger sind in Deutschland bewaffnet. Im Oktober 2016 erschoss ein Reichsbürger in Bayern einen Polizisten und verletzte zwei weitere. Eine Spezialeinheit wollte seine Waffen beschlagnahmen. Alleine in Bayern, ein Reichsbürger-Hotspot in Deutschland, sind laut Behörden 4200 Reichsbürger aktiv. Bis Ende September zogen Beamte hier 700 Waffen in der Szene ein.
Der bayerische Inlandgeheimdienstchef Körner warnt: «Die Gefährlichkeit der Szene ist noch immer gegeben. Wir stellen immer wieder fest, dass diese Staatsverdrossenheit, die Reichsbürger sehr häufig haben, sehr schnell in Hass umschlagen kann. Wir sind immer wieder mit gewalttätigen Aktionen bei Vollstreckungsmassnahmen konfrontiert».
Die Gefährlichkeit der Szene ist noch immer gegeben.
Weiter erklärt Körner: «Der Staat muss ganz klar Flagge zeigen und vor allem – das ist das Allerwichtigste – muss er die Voraussetzungen schaffen, dass der Waffenbesitz innerhalb der Reichsbürger-Szene bekämpft werden kann.» Das Phänomen dürfe nicht unterschätzt werden und es sei wichtig, die Szene von Anfang an zu kontrollieren und wenn nötig polizeilich einzuschreiten.
NDB sieht keine Bedrohung
Und wie sieht die Situation in der Schweiz aus? Auf Anfrage schreibt der Nachrichtendienst des Bundes (NDB), die Szene werde «aufmerksam» beobachtet. «Aufgrund der derzeit vorliegenden Informationen beurteilt der NDB die Bewegung der Reichsbürger und Selbstverwalter nicht als Bedrohung für die innere Sicherheit der Schweiz.»
Gegenwärtig würden sich die Aktivitäten von Reichsbürgern und Selbstverwaltern in der Schweiz auf Besprechungen, Treffen und vereinzelte Querelen mit den Behörden beschränken. «Gewalttätige Aktivitäten in der Schweiz konnte der NDB bisher nicht verzeichnen». Über die Grösse der Bewegung in der Schweiz gibt der NDB keine Auskunft. Szenekenner gehen aber von rund 300 aktiven Personen aus.
Gewalttätige Aktivitäten in der Schweiz konnte der NDB bisher nicht verzeichnen.
Systematische Verbindungen zwischen den Reichsbürgern und der gewalttätig-rechtsextremen Szene in der Schweiz gibt es auch laut NDB bisher nicht. Im Vergleich mit der deutschen Reichsbürger-Szene wird die Bewegung in der Schweiz auch von Experten als friedlicher und gemässigter eingeschätzt.