Ben kommt im Spital von Konstanz zur Welt. Seine deutschen Eltern kriegen während 14 Monaten Elterngeld und können sich diese Zeit mit dem Neugeborenen aufteilen. Noah erblickt zur gleichen Zeit 6 Kilometer entfernt das Licht der Welt – in einem Geburtshaus im Kanton Thurgau. Die Wahrscheinlichkeit ist hoch, dass er seinen Papa in nächster Zeit seltener sehen wird als Ben. Denn sein Papa bekommt nur einen bezahlten freien Tag.
Das Beispiel ist fiktiv, die Fakten real. Dass die Schweiz punkto staatlich garantiertem Vaterschaftsurlaub eine öde Insel mitten in Europa ist, wiederholen die Befürworter der Initiative für einen Vaterschaftsurlaub (4 Wochen) oder des Gegenvorschlags (2 Wochen) immer wieder. Diese Tatsache ist zwar auffällig, entspricht aber der langen Tradition einer – je nach politischem Standpunkt – hochvernünftigen Zurückhaltung oder unerträglichen Rückständigkeit der Schweiz bei staatlichen Sozialleistungen.
Um beim Vergleich mit Deutschland zu bleiben: Der deutsche Reichskanzler Otto von Bismarck schuf 1883 eine staatliche Krankenversicherung, das Obligatorium in der Schweiz kam 113 Jahre später.
Vaterschaftsurlaub hängt heute vom Arbeitgeber ab
Dieser besondere Schweizer Weg hat viel zu tun mit den liberalen und föderalistischen Wurzeln unseres Bundesstaates. Lösungen in den Firmen oder Branchen, ausgehandelt zwischen Arbeitnehmern und -gebern wurde vor staatlichen Regulierungen stets der Vorzug gegeben.
So ist es bis heute beim Vaterschaftsurlaub. Kantone und Gemeinden gewähren ihn in unterschiedlicher Länge und bei den Firmen sind es vor allem Grossbetriebe, die grosszügig sind: Novartis gewährt drei Monate, Google zwei und Ikea einen. Wie oft ein Baby in seinen ersten Lebenswochen seinen Vater sieht, hängt also heute auch davon ab, wer dessen Arbeitgeber ist.
Kein Gehör für Argumente von FDP und SVP
So, sagen SVP und FDP, könne man Rücksicht nehmen auf die individuelle Situation der Unternehmen. Denn gerade für kleinere Gewerbebetriebe wäre der Vaterschaftsurlaub ein organisatorisches und finanzielles Problem. Auch diese wirtschaftlichen Argumente haben Tradition. Mit ihnen wurde schon vor 100 Jahren gegen die Einführung der 48 Stundenwoche gekämpft und bis 2005 gegen die Mutterschaftsversicherung. Beide Kämpfe gingen am Ende verloren und auch heute im Ständerat drangen diese Argumente nicht durch.
Sagt auch der Nationalrat Ja, kommen die zwei Wochen Vaterschaftsurlaub. Das Volk kann dann mit einem Ja zur Volksinitiative noch auf vier Wochen erhöhen. Selbst dann wäre es noch ein Unterschied, ob Ben und Noah in Kreuzlingen oder Konstanz auf die Welt kommen. Aber punkto Vaterschaftsurlaub nicht mehr so ein grosser.