- Hautärzte warnen seit Jahrzehnten vor den Gefahren der UV-Strahlung. Neue Studien zeigen aber auch die negativen Folgen von zu wenig Sonnenschein.
- Alle Experten sind sich einig, dass man Sonnenbrände vermeiden soll. Wie viel Sonne es leiden mag, muss jeder für sich selber herausfinden.
Was haben Dermatologen mit dem Adel vergangener Zeiten gemein? Beide halten nichts von «gesunder Bräune».
Damals war die noble Blässe ein Unterscheidungsmerkmal zum gemeinen Volk, das seinen Lebensunterhalt an der frischen Luft verdienen musste. Heute ist sie das sichtbare Zeichen der ständigen Sorge vor frühen Falten und plötzlichem Hautkrebs.
Unser Verhältnis zur Sonne im Wandel der Zeit
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Bild 1 von 22. Um 1900 stehen Industriestädte wie London unter Dauersmog. Grosse Teile der Bevölkerung leben in Armut, vor allem die Kinder sehen kaum je die Sonne. Bildquelle: Imago.
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Bild 2 von 22. Viele dieser Kinder leiden unter Rachitis, der «englischen Krankheit»: Ihre Beine sind verformt, weil sie zu weiche Knochen haben. Bildquelle: imago.
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Bild 3 von 22. Im Lebertran finden die Forscher einen Stoff, der gegen Rachitis wirkt und die Knochen stärkt: Sie nennen ihn «Vitamin D». Lebertran wird fortan im grossen Stil an die Jugend abgegeben. Bildquelle: srf.
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Bild 4 von 22. 1919 entdecken Kinderärzte, dass auch UVB-Lampen vor den Folgen des Vitamin-D-Mangels schützen. Bildquelle: srf.
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Bild 5 von 22. Sonnenlampen für Kinder – ein neues Geschäft! Bildquelle: srf.
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Bild 6 von 22. Auch in der Schweiz nutzt man die Sonnenstrahlen für die Gesundheit: Dr August Rollier eröffnete 1903 die erste Sonnenklinik in Leysin. Bis 1933 zählte man dort über 165 verschiedene Krankheiten, die erfolgreich mit Heliotherapie behandelt wurden; einschliesslich Tuberkulose, Wunden und Rachitis. Bildquelle: srf.
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Bild 7 von 22. Die neu entdeckte Heilkraft macht die Sonne so populär wie nie. Im Sommer begeben sich immer mehr Leute ins Freibad und an den Strand, um möglichst viel Sonnenschein abzubekommen. Bildquelle: imago.
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Bild 8 von 22. 1946 wird der Bikini erfunden. Am Strand wird immer mehr Haut gezeigt. Bildquelle: imago.
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Bild 9 von 22. Zum Vergleich: So sah die Bademode 1933 aus. Bildquelle: imago.
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Bild 10 von 22. Der Bikini wurde von seinen Schöpfern übrigens ganz bewusst nach dem Bikini-Atoll benannt, wo wenige Tage vor seiner Vorstellung Atombombentests durchgeführt wurden. Dies in der (berechtigten) Annahme, dass die Wirkung des Kleidungsstücks ebenso spektakulär sein würde wie die Explosion einer Atombombe. Bildquelle: imago.
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Bild 11 von 22. Je mehr nackte Haut gezeigt wird, desto mehr werden Sonnenschutzmittel zum Thema. 1933 bringt Delial das erste Produkt auf den Markt, zwei Jahre später gefolgt von Ambre Solaire. Die Cremes und Öle waren teuer und wurden sparsam eingesetzt. Bildquelle: poster-gallery.com.
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Bild 12 von 22. Sonnenschutz war für Alpinisten schon ein Thema, bevor sich Badetouristen darum kümmerten. Bildquelle: artifiche.com.
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Bild 13 von 22. Das Plakat von 1941 zeigt auch eindrücklich, wie sich die Skibekleidung seither geändert hat. Bildquelle: artifiche.com.
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Bild 14 von 22. 1946 wird mit «rassiger Bräune» geworben. Bildquelle: poster-gallery.com.
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Bild 15 von 22. Piz Buin führt in den 1960er Jahren als eine der ersten Marken den Lichtschutzfaktor ein und wirbt mit verführerischen Kontrasten. Bildquelle: poster-gallery.com.
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Bild 16 von 22. Mit wachsendem Wohlstand werden auch die Sonnenschutzprodukte besser und erschwinglicher. Bildquelle: poster-gallery.com.
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Bild 17 von 22. Der Schutz der Haut ist aber noch lange kein vordringliches Thema. In erster Linie sollen die Produkte zu einer möglichst tiefen, «gesunde Bräune» verhelfen. Bildquelle: poster-gallery.com.
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Bild 18 von 22. Sommerferien im Süden werden grosse Mode. Wer es sich leisten kann, reist nach Italien oder Spanien. Bildquelle: imago.
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Bild 19 von 22. Die Sommerbräune wird zum Statussymbol, ein Sonnenbrand gilt als normale Vorstufe jeder zünftigen Bräune. Bildquelle: imago.
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Bild 20 von 22. Ein Gesinnungswandel setzt ein. Die Sonnenstrahlung wird zusehends als Gefahr wahrgenommen. Die Entdeckung des Ozonlochs und der schädlichen Folgen von übermässiger UV-Strahlung schüren die Angst vor Hautkrebs. Bildquelle: Imago.
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Bild 21 von 22. Dramatische Bilder aus Australien führen dazu, dass das Pendel in die andere Richtung ausschlägt: Genoss man den Sommer einst so freizügig wie möglich, gilt es nun, möglichst jeden Flecken Haut zu bedecken. Bildquelle: imago.
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Bild 22 von 22. Kinder, die ihrer Gesundheit zuliebe nackt in der Sonne baden? Nicht mehr heute! Bildquelle: imago.
Die Empfehlungen der Hautärzte haben unser Verhältnis zur Sonne in den letzten Jahrzehnten stark geprägt. Spätestens seit dem Auftauchen des Ozonlochs gilt: Möglichst nicht an die Sonne gehen – und wenn doch, dann nur gut geschützt!
Experten-Chat
Mit dem Sonnenschutz nimmt es die breite Masse allerdings nicht so genau. Und kaum wird es wärmer, zieht es die Menschen auch schon in Scharen nach draussen. Mit gutem Grund, denn die positiven Effekte des Sonnenlichts auf Blutdruck, Schlaf und Psyche sind in zahlreichen Studien belegt.
Vor allem ist es auch wichtig für die Vitamin-D-Produktion und damit für Knochen, Immunsystem, Blutgefässe und den Herz-Kreislauf.
Eine schwedische Studie kommt gar zum Schluss, dass Sonnenmangel so ungesund sei wie Rauchen: Frauen, die sich regelmässig an der Sonne aufhalten, hätten ein deutlich geringeres Risiko für Todesfälle durch Herz-Kreislauf-Erkrankungen.
Die Sonne hat viele positive Effekte auf den Körper, die müssen wir nützen.
Studienautor Pelle Lindqvist vom Karolinska Institut plädiert denn auch für eine Neubesinnung im Umgang mit der Sonne: «Sie wird seit Jahren verteufelt. Dieses Bild muss sich wieder ändern!» Die Sonne habe viele positive Effekte auf den Körper, die es zu nutzen gelte. Seine Empfehlung: Täglich eine halbe Stunde lang die Sonne an so viele Hautpartien wie möglich lassen.
Die Grenzen der Forschung
Bei Dermatologen stösst diese Forderung auf wenig Gegenliebe. Und sie lassen kein gutes Haar an der schwedischen Studie. Hauptkritikpunkt: Die Schlussfolgerungen basieren auf Befragungen und statistischen Auswertungen statt auf harten Fakten.
Was allerdings auch für jene Studien gilt, die zu den gängigen Sonnenschutzempfehlungen führten.
Wieso? Aus einleuchtenden Gründen kommt es nicht in Frage, Menschen gezielt einem Krebsrisiko auszusetzen und sie wie Labortiere jahrelang zu isolieren, um andere Einflüsse auszuschliessen. Die Forschung basiert somit auf statistischen Auswertungen und rückblickenden Befragungen, die voreingenommen oder ungenau sein können und mitunter verwirrende Ergebnisse zeitigen.
So ergab beispielsweise eine Studie für Arbeitsplätze draussen eine niedrigere Krebsrate als für Berufe in Büros. Eine andere zeigte, dass ein regelmässiger Aufenthalt an der Sonne zu weniger Hautkrebs führt als unregelmässige Aufenthalte mit höherer Intensität. Und dann kam man auch schon mal zum Ergebnis, dass Leute, die sich mit Sonnencreme einrieben, deutlich häufiger über Sonnenbrände berichteten.
Hauptsache keinen Sonnenbrand
Da sich die vermuteten Zusammenhänge zwischen Sonne und Hautkrebs auf direktem Weg nicht schlüssig beweisen lassen, wurde schliesslich ein indirekter Ansatz verfolgt: Welche Schäden die Sonne anrichtet, wurde mit jenen Schäden belegt, die beim Vermeiden der Sonne nicht auftraten. Oder – wie bei der schwedischen Studie – eben umgekehrt.
Was bedeutet das nun für den persönlichen Umgang mit der Sonne? Mittlerweile ist klar, dass die UV-Strahlung nicht die einzige Ursache für Hautkrebs ist und genetische Faktoren eine wichtige Rolle spielen. In einem ist sich die Fachwelt aber einig: Sonnenbrände gilt es möglichst zu vermeiden.
Menschen mit sehr heller Haut tun gut daran, besonders vorsichtig zu sein. Für alle anderen gilt dieselbe Empfehlung wie beim Alkoholkonsum: Allzu viel ist ungesund. Wie viel es leiden mag, muss aber jede und jeder für sich selber herausfinden.