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«Was wäre, wenn …»: eine Welt ohne Gletscher
Aus 10 vor 10 vom 21.03.2024.
abspielen. Laufzeit 5 Minuten 11 Sekunden.

Fragen und Antworten «Wird uns ohne Gletscher das Trinkwasser ausgehen?»

Die Klimaforscherinnen Marit van Tiel, Mylène Jacquemart, Sonia Seneviratne und Ulrike Lohmann haben Ihre Fragen zum Klimawandel und der Gletscherschmelze beantwortet.

Eine Studie zur weltweiten Gletscherschmelze zeigt: Es geht schneller als erwartet. In dem Szenario, dass sich die Welt um nur 1.5 Grad erwärmt, würden 1100 bis 1200 der aktuell 1400 Gletscher der Schweiz bis im Jahr 2100 verschwinden. Was aber würde das bedeuten? Wie wichtig sind die Gletscher für das Leben auf unserer Erde? Und was wäre, wenn es ab morgen plötzlich keine Gletscher mehr geben würde?

Die SRF-Rubrik Was wäre, wenn ...?

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In der multimedialen Rubrik «Was wäre, wenn …?» leuchtet SRF Zukunftsszenarien aus. In einem Gedankenexperiment wird eine radikalen oder unerwarteten Entwicklung durchgespielt. Dieser Ansatz soll helfen, besser zu verstehen, was in der Zukunft geschehen könnte. SRF begleitet das jeweilige Thema rund 24 Stunden online, am Radio und im TV. Dabei werden Zuschauerinnen und User eingeladen, sich aktiv an der Diskussion zu beteiligen.

Alle Artikel, Expertenchats und Videos der Rubrik «Was wäre, wenn …?» finden Sie hier.

Haben Sie weitere Ideen für Zukunftsszenarien, die SRF beleuchten soll? Schicken Sie uns gerne Ihren Input an communities@srf.ch.

Dazu haben die Klimaforscherinnen Marit van Tiel, Mylène Jacquemart, Sonia Seneviratne und Ulrike Lohmann Ihre Fragen beantwortet.

Gäste im News-Chat

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Ulrike Lohmann
Klimaforscherin und Professorin für Atmosphärenphysik
ETH Zürich

Sonia Seneviratne
Klimaforscherin und Professorin für Land-​Klima-Dynamik
ETH Zürich

Mylène Jacquemart
Glaziologin an der Versuchsanstalt für Wasserbau, Hydrologie und Glaziologie
ETH Zürich

Marit van Tiel
Glaziologin an der Versuchsanstalt für Wasserbau, Hydrologie und Glaziologie
ETH Zürich

Chat-Protokoll:

Guten Abend! Ich frage mich, wie sinnvoll es wäre, bei einigen Gletschern (je nach Möglichkeit) Staumauern zu erstellen, um das Schmelzwasser zu rückhalten, kontrolliert abzulassen und somit für die Zukunft Trinkwasser und Bewässerung über die Hitzeperiode zu sichern. Wäre dies nicht eine notwendige parallele Massnahme zu der Reduzierung des CO2-Ausstosses?

Marit van Tiel: Ja, tatsächlich werden viele der Stauseen durch Gletscherschmelze gespeist, und es könnte eine Option sein, noch mehr Staumauern zu bauen. Siehe zum Beispiel diesen Artikel hier. Allerdings kann nicht das gesamte Eis/Wasser, das die Gletscher jedes Jahr verlieren, durch ein Reservoir ersetzt werden. Stauseen hätten nur einen saisonalen Effekt und würden das Wasser speichern, das früher im Jahr freigesetzt wird, wenn sich die Gletscher zurückgezogen haben. Damit ist das Problem des Wasserverlustes bei verschwindenden Gletschern nicht gelöst. Darüber hinaus stellt sich die Frage, ob aus ökologischer und landschaftlicher Sicht weitere Stauseen gewünscht sind

Wenn das im Tempo der letzten zwei Jahre so weitergeht, also 10 Prozent weniger Gletschereis? Dann haben wir bereits in 20 Jahren fast keine Gletscher mehr. Könnte das so sein? Und was machen wir dann? Leere Stauseen? Weniger Strom? Riesige Auffangbecken für Wasser? Müssten ja in dieser Zeit gebaut werden in den Alpen, um das Regenwasser aufzuhalten. Hat man schon an alternative Lösungen in Betracht gezogen? Was schlagen unsere gewählten Politiker vor? Statt mit Referenden zu drohen. Lösungsvorschläge sind gefragt.

Ulrike Lohmann: Ja, die Gletscher würden schneller abschmelzen, wenn sich das Tempo der Erwärmung weiterhin beschleunigt. Auffangbecken für Wasser (also weitere Stauseen) wären sinnvoll, damit der Wasserabfluss aus den Bergen verzögert werden kann.

Was braucht es, dass die Politik endlich den Ernst der Lage erkennt und die richtigen Schritte gegen den CO2-Anstieg einleitet?

Sonia Seneviratne: Es wurden einige nützlichen Schritte gegen den CO2-Anstieg eingeleitet, zum Beispiel das Klima- und Innovationsgesetz, das von der Schweizer Bevölkerung im Juni 2023 angenommen wurde. Aber das Tempo ist zu langsam, um die CO2-Emissionen in der Schweiz konsistent mit einer Stabilisierung auf 1.5°C globalen Erwärmung zu reduzieren. Es braucht vielleicht mehr Druck von der Öffentlichkeit, damit die Politik die Klimamitigation als Priorität setzt. Ausserdem leben wir in einer Demokratie. Die Bürger und Bürgerinnen können bei den Wahlen überprüfen, wie sich Politiker:innen bei diesem Thema engagiert haben.

Steuern wir auf eine Klimakatastrophe und Ökozid zu?

Ulrike Lohmann: Ja, die Biodiversität nimmt ab und wir bewegen uns auf eine Klimakrise zu. Die Klimakrise ist mitverantwortlich für die abnehmende Biodiversität.

Warum wird nicht mehr in den Schulen diskutiert was für Folgen das alles hat? Eben für diese Generation. Diese haben die Folgen zu tragen und konnten ihre Eltern und Grosseltern ins Boot holen.

Mylène Jacquemart: Ich kenne den heutigen Lehrplan nicht im Detail, aber ich glaube die heutige Jugend ist durchaus gut über die Tatsachen informiert. Von da zu nationalen und globalen Richtlinien, die von der Politik durchgesetzt werden, ist es aber ein grosser Schritt der nicht einfach ist.

Ich als Individuum fühle mich machtlos gegenüber dem Klimawandel. All meine taten, klimafreundlicher zu leben, sind ja nur ein kaum spürbarer Hauch ohne Relevanz verglichen mit der konsumfreudigen und wachstumsgierigen Menschheit. Was für tips würden Sie dem einzelnen geben, um im Kampf gegen den Klimawandel zu arrivieren?

Ulrike Lohmann: Jede und jeder Einzelne kann etwas tun. Das ist vergleichbar mit Steuern zahlen. Da ist der Beitrag von uns Einzelnen auch klein. In dem Sinne hilft umweltfreundliches Verhalten, also weniger fliegen, weniger Fleisch essen, Elektromobilität oder zu Fuss/Velo, Photovoltaikanlagen (wenn möglich), um einige Beispiele zu nennen

Welche Tatsache entspricht bezüglich folgender Aussage der Wahrheit? «Ob die Welt einst ohne Gletscher sein wird, liegt also in unserer Hand.» Liegt es wirklich in der Hand vom Volk, oder würde es rein theoretisch reichen, wenn die 500-1000 grössten Unternehmen weltweit ihre Produktion radikal innert Monaten auf nachhaltige Strukturen/Prozesse ändern würden?

Mylène Jacquemart: Es braucht auf jeden Fall systematischere Veränderungen als nur von 1000 grossen Unternehmen. Und etwas rhetorisch gefragt, wer zwingt diese Unternehmen dazu ihre Prozesse zu ändern, wenn nicht wir alle mittels politischem und ökonomischem Druck?

In der Politik und anderswo spricht man momentan viel über eine sichere Versorgung der Schweiz mit Elektrizität (ist ja auch sehr nötig). Meine Frage : Ist es sinnvoll die Staumauern zu erhöhen, wenn es in ein paar Jahren die Gletscher die die Stauseen speisen nicht mehr gibt?

Marit van Tiel: Eine schwierige Frage. Die Erhöhung der Staumauern kann immer noch dazu beitragen, das Wasser der schmelzenden Gletscher in den kommenden Jahrzehnten zu speichern. Die letzten beiden Jahre waren beispielsweise sehr extrem, was die Gletscherschmelze angeht, und haben eine grosse Menge an Schmelzwasser produziert. Aber mit dem Rückzug der Gletscher werden sich die Stauseen mehr durch Niederschläge füllen. Die Frage ist, wann die Stauseen gefüllt sein werden und wann das Wasser genutzt wird, um zu bestimmen, welche Speicherkapazität benötigt wird. Da mehr trockene Sommer prognostiziert werden, wird das in Stauseen gespeicherte Wasser an Bedeutung gewinnen, nicht nur für die Energieerzeugung, sondern auch für die Verfügbarkeit von Wasser in Trockenzeiten (Mehrzweckstauseen). In dieser Hinsicht kann eine grössere Speicherkapazität von Vorteil sein. Der Bau weiterer Stauseen zur saisonalen und mehrjährigen Speicherung von Wasser wäre eine weitere Möglichkeit, die Kapazität zu erhöhen, aber mann muss sich die Frage stellen, ob dies aus ökologischer und landschaftlicher Sicht gewünscht ist.

Beim Aletschgletscher habe ich auf den Informationstafeln gelesen, dass 1750 der Gletscher zu schmelzen begann. J.W. Goethe schreibt 1798 auf seiner Wanderung über die Furka an Frau von Stein, dass er ergriffen vor dem Rhonegletscher stand, der Bergführer aber lakonisch feststellte, dass der Gletscher früher viel mächtiger war. Am Morteratschgletscher ist im Zehnjahresabstand markiert, wie der Gletscher seit 1900 zurückgegangen ist (1900 – 1950: 750 m / 1950 – 2000: 850m). Wie lässt sich das erklären? (1750 lebten geschätzt ca. 790 Millionen Menschen auf dem ganzen Globus, es gab keine Industrialisierung, keine Grossstädte, keine Autos, keine Flugzeuge. Und es kann ja nicht sein, dass das Gelübde der Walliser diese Gletscherschmelze auslöste!).

Mylène Jacquemart: Ich kann nicht alle ihre Jahreszahlen nachvollziehen oder bestätigen, aber der Höchststand der kleinen Eiszeit in der Schweiz war um 1850, seither schrumpfen die Gletscher, jüngst stark Beschleunigt durch den vom Menschen gemachten Klimawandel. Eine gute Visualisierung und Hintergründe zum Thema gibt es hier.

Vergleicht man den Zuwachs der Weltbevölkerung mit der Zunahme des CO2 verläuft diese sehr ähnlich. Würde die Bevölkerung abnehmen ginge dann der Co2 Ausstoss automatisch zurück? Was denke sie ?

Sonia Seneviratne: Eine Korrelation bedeutet nicht zwingend eine Kausalität. Wichtig sind vor allem die pro-Kopf Emissionen. Viele Menschen emittieren eigentlich sehr wenig CO2. Aber die 10% reichsten Personen weltweit sind verantwortlich für mehr als 50% der CO2 Emissionen. Und die 1% reichsten weltweit emittieren mehr als die 50% ärmsten der Weltbevölkerung (Quelle). Viele CO2 Emissionen sind eigentlich Luxus-Emissionen (zB SUVs, Privatflugzeuge).

250 m Benzinerfahrt schmilzt 1 kg Gletschereis. Mich würde der Nachweis für die Skeptiker interessieren. Bin selber überzeugter E-Mobilfahrer.

Mylène Jacquemart: Es gibt verschiedene Studien, die versuchen, das Ausmass unseres Verhaltens auf relevante Grössen im Klimasystem zu quantifizieren. Ein Beispiel findet sich z.B. hier, aber auf gleiche Weise kann man die Energie, die gebraucht wird um 1 kg Eis zu schmelzen, auch mit dem wärmenden Effekt des CO-2s vergleichen, welches bei einer Autofahrt von einigen hundert Meter freigesetzt wird.

Wie schätzen Sie die Chance ein, dass es nach der Erwärmung zu einer erneuten Eiszeit kommt? In welchen Jahren sind die Schweizer Gletscher letztens noch «gewachsen»?

Ulrike Lohmann: GLAMOS ist das Messnetz der Schweizer Gletscher. Dort sind alle Messdaten der Gletscher zusammengetragen. Wenn Sie sich dort z.B. den Rhonegletscher anschauen, ist er seit 1879 um 1634 m kürzer geworden. Der letzte Vorstoss war von 1986 zu 1987, wo er um 9 m vorstiess.

Ich habe zwei Fragen zum Thema. – Was gibt ihnen Hoffnung, dass wir als Gesellschaft den Klimawandel stoppen können? – Wie stehen Sie zu climate engineering Methoden (zB Aerosole in die Stratosphäre bringen)? Ist das eine reale Option? Vielen Dank für Ihre Antworten.

Sonia Seneviratne: Was mir Hoffnung gibt, ist die Tatsache, dass viele Lösungen schon existieren. Erneuerbare Energien sind viel billiger geworden. Es wäre eigentlich in vielen Fällen billiger, Energie mit Solar- oder Windenergie zu erzeugen, statt fossile Energieträger zu verwenden, die ja viel kosten. Wir sind auch nicht mehr auf Benzinautos oder Erdölheizungen und Gasheizungen angewiesen. Der letzte Weltklimaratsbericht zeigt, dass für 25% unserer CO2-Emissionen die Energietransition weg von fossilen Energieträgern eigentlich billiger wäre als was wir momentan machen. Die Emission von Aerosolen in die Stratosphäre stellt keine langfristige Lösung zur Klimakrise dar. Im Gegenteil, sie würde (finanzielle, zeitliche, politische) Ressourcen verwenden, die besser in die Dekarbonisierung der Gesellschaft investiert werden sollten. Die einzige Lösung um das Klima dauerhaft zu stabilisieren ist netto-null CO2 Emissionen zu erreichen.

Gestern wurde zu diesem Thema am TV gesagt, dass 250 METER Autofahren 1 Liter Gletschereis zum Schmelzen bringt. Stimmt das wirklich, es wird ja (leider) so viel mit dem Auto herum gefahren, da müssten doch schon alle Gletscher weg sein? Oder wie viele Liter hat z.B. z.B. der Aletschgletscher? Vielen Dank für Ihre Antwort – und für Ihr Engagement!

Mylène Jacquemart: Ja, die Berechnung stimmt ungefähr. Zur Zeit bleiben uns in der Schweiz (gesamthaft) noch knapp 50 Kubik-kilometer Eis, das sind 50'000'000'000'000 Liter. Nur weniger Autofahren reicht natürlich nicht, aber wenn wir kollektiv weniger fossile Brennstoffe verwenden, dann können wir grosse Unterschiede machen. Details zu den Messungen der Gletscher in der Schweiz

Wie interpretieren sie die Daten der grossen Versicherungsfirmen, dass die durch Naturkatastrophen verursachten Schäden inflationsbeteinigt tendenziell sinken und die Gesamtzahl der verstorbenen Personen schon seit einigen Jahren sinkt?

Ulrike Lohmann: Ich bin nicht sicher, dass ich Ihre Aussage teile. Die versicherten Schäden der SwissRe haben seit 1970 stark zugenommen. Sie hatten die höchste versicherte Schadenssumme im 2017 mit den 3 tropischen Wirbelstürmen Harvey, Irma und Maria. Über die Gesamtzahl der verstorbenen Personen kann ich leider nichts sagen.

Oft ist von der Klimaerwärmung die Rede. Wichtig wäre m.E. aber auch das Wissen um die Enthalpie oder Entropie der Atmosphäre, und wie sich diese verändert. Die LF muss nebst der Temperatur aus energetischer Sicht unbedingt berücksichtigt werden. Gibt es dazu Studien? LF Messwerte seit wann?

Ulrike Lohmann: Ja, die latente Wärme wird berücksichtigt in allen Studien der Klimaerwärmung. Je wärmer es wird, desto mehr Wasser verdunstet und Wasserdampf ist zum einen ein Treibhausgas. D.h. mehr Wasserdampf in der Atmosphäre erhöht die Erwärmung weiter, das ist eine sogenannte positive Rückkopplung. Zum anderen führt ein höherer Wasserdampfgehalt in der Atmosphäre dazu, dass mehr Wasserdampf kondensieren kann. Der Wasserkreislauf wird dadurch schneller und der Niederschlag nimmt deshalb in einem wärmeren Klima zu. Zudem können deshalb die Stürme intensiver werden. Es gibt Messreihen der Verdunstung und der Wasserbilanz (Niederschlag minus Verdunstung). Der 6. Zustandsbericht des Weltklimarats zeigt in Abb. 2.16 Zeitreihen von 1980-2019.

In unserer Verwandtschaft gibt es immer noch die Sätze «...das war schon immer so. Es gab immer Schwankungen in der Geschichte und irgendwann kommt wieder ein Eiszeit. Kein Grund zur Sorge». Es fallen auch Sätze wie «..auch die Wissenschaft kann Fehler machen». Lohnt es sich überhaupt noch zu diskutieren? Wenn ja, was sind Ihre wichtigsten Anhaltspunkte?

Mylène Jacquemart: Diskutieren lohnt sich immer, solange man sich dabei wohl fühlt (in Familien sicher nicht immer einfach). Die nächste Eiszeit (und mit grösster Wahrscheinlichkeit auch die Übernächste) haben wir mit dem menschgemachten CO-2 Ausstoss bereits ausgehebelt. Relevant ist, dass die Erwärmung im Moment viel schneller ist, als dies seit mindestens 2000 Jahren – und vermutlich viel länger – je passiert ist, und sie ist ganz klar vom Menschen verursacht. Wir können die natürlichen Schwankungen gut modellieren, und nur unter Berücksichtigung unseres CO-2 Ausstosses lässt sich der rasante Temperaturanstieg erklären. Wenn es in der Vergangenheit schon mal wärmer war, ist das für uns heute eigentlich irrelevant, denn wir (und unsere Kinder!) sind jene, die mit den Konsequenzen leben müssen.

Zwischen dem Ausstoss von CO2 und den sichtbar werdenden Folgen vergehen ca. 60 Jahre. Heisst, die heutigen Auswirkungen auf die Natur basieren auf den CO2 Emissionen von vor 60 Jahren (letztes Jahr Erwärmung von 1.45° Celsius). Wie soll man auch nur annähernd in die Nähe der 3°-Marke kommen, wenn die Auswirkungen des in den letzten 59 Jahren ausgestossenen CO2s am Klima noch nicht einmal sicht- und messbar sind?

Sonia Seneviratne: Ihre Annahme ist eigentlich nicht richtig. Die Konsequenzen unserer CO2-Emissionen sind sofort sichtbar, zuerst in den zunehmenden CO2-Konzentrationen in der Atmosphäre. Die Auswirkungen einer erhöhten CO2-Konzentration finden auch ummittelbar statt. Wenn wir die CO2-Emissionen global auf null bringen, dann würden wir nach etwa 20 Jahren beweisen können, das diese Massnahmen eine Wirkung gehabt haben, da klimatische Bedingungen typischerweise über einen Zeitraum von 20-30 Jahren definiert werden. Die Auswirkung auf CO2-Konzentrationen würde man früher feststellen können.

Das Schmelzwasser der Gletscher wird heute u.a. für die Bewässerung von landwirtschaftlichen Kulturen in den Bergregionen verwendet. Welche Vorkehrungen werden in diesem Bereich für den Ersatz des Schmelzwassers der Gletscher getroffen?

Marit van Tiel: Es gibt verschiedene Möglichkeiten, mit diesem Problem der geringeren Wasserverfügbarkeit während der Wachstumperiode umzugehen: Zum einen sind Massnahmen zur Verringerung des Wasserverbrauchs in der Landwirtschaft erforderlich. Dazu gehört zum Beispiel der Anbau von Sorten, die weniger Wasser verbrauchen, oder effizientere Bewässerungssysteme. Zum anderen könnte die Bewirtschaftung der Stauseen so optimiert werden, dass die Winterniederschläge gespeichert und im Sommer u.a. für die Landwirtschaft genutzt werden können.

Wo liegen die grössten Hebel um die Gletscherschmelze zu bremsen?

Sonia Seneviratne: Der grösste Hebel ist eine Stabilisierung der globalen Erwärmung auf so tiefem Niveau wie möglich (d.h. ~1.5°C). Dafür sollen wir die CO2-Emissionen so schnell wie möglich reduzieren und auf null bringen. Die Hauptursache (90%) von CO2-Emissionen ist der Verbrauch von fossilen Energieträgern (Erdöl, Gas, Kohle). Eine schnelle Energietransition zu erneuerbaren Energien (Solarenergie, Windenergie) ist essenziell, um eine Chance zu behalten, die globale Erwärmung auf tiefem Niveau zu stabilisieren.

Schmelzen Gletscher mit südlicher oder westlicher Exposition schneller als Gletscher mit nördlicher oder östlicher Exposition?

Mylène Jacquemart: Der Hauptfaktor, der die Gletscherschmelze beeinflusst ist die Sommertemperatur. Weil die nordseitigen Gletscher etwas besser gegen Strahlung geschützt sind, haben sie gegenüber jenen, die nach Süden orientiert sind einen kleine Vorteil. Ganz generell sagen lässt sich dies aber nicht, weil des auch noch sehr stark auf die Höhe ankommt und darauf, wie viel Schnee ein bestimmter Gletscher im Winter bekommen hat. Viel Schnee schützt den Gletscher im Sommer am besten vor der Wärme.

Hat sich derJetstream in den vergangenen Jahrzehnten verändert? Kommt er ins Trudeln? Oder Mäanderte er schon immer? Ich meinte, gelernt zu haben, dass er relativ auf direktem Weg über den Atlantik nach Europa kam.

Ulrike Lohmann: Ja, es gibt Anzeichen dafür, dass der Jetstream schneller wird mit zunehmender Erwärmung. Dass der jet stream mäandriert ist normal. Das hängt damit zusammen, dass es in den Tropen einen Energieüberschuss gibt und diese Energie zu den Polen transportiert wird. Dieses passiert sowohl im Ozean wie in der Atmosphäre. In der Atmosphäre erfolgt dieser Transport über die Tiefdruckgebiete, bei denen die warme Luft in Richtung der Pole vorstösst und kalte Luft Richtung Äquator gelangt. Die Verteilung der Tief- und Hochdruckgebiete bestimmt die Lage des jet streams. Über dem Atlantik gibt es sowohl Wetterlagen, in denen der Jetstream direkt (zonal) über den Atlantik nach Europa kommt oder er mäandriert. Das ist abhängig von der Jahreszeit und schwankt auch von Jahr zu Jahr.

Gletscher stossen vor und ziehen sich zurück, wenn weltweit viele Gletscher vorstossen würde dies Weideflächen und Infrastruktur zerstören – sind zurückweichende Gletscher nicht die bessere Situation?

Mylène Jacquemart: Klar wäre eine globale Eiszeit wie wir sie zuletzt vor rund 25'000 Jahren hatten für die Menschheit ein Problem. Tatsächlich haben wir die nächste Eiszeit, und vermutlich auch die übernächste, mit dem menschgemachten CO-2 Ausstoss bereits ausgehebelt. Es geht also lediglich darum, das Klima auf einem für den Menschen und die Ökosysteme (Gletscher inbegriffen) akzeptablen Niveau zu stabilisieren. Einigermassen stabile Gletscher sind in vielen Regionen der Welt essentiell für die Landwirtschaft und das Überleben der Bevölkerung.

Wird uns das Trinkwasser ausgehen, ohne Gletscher?

Marit van Tiel: Nein, zum Glück nicht! In der Schweiz wird der grösste Teil des Trinkwassers aus dem Grundwasser gewonnen (80 %), der Rest aus Seen. Das Grundwasser wird grösstenteils durch Niederschläge gespeist, sodass es auch ohne Gletscher noch Trinkwasser gibt.

Es gibt verschiedene Schutz möglichkeiten von Gletscher wie z.B. Künstlich Beschneien, abdecken etc. Aber diese sind extrem teuer und aufwändig. Kann man den Gletscherschwund überhaupt noch mit realistischen massnahmen verlangsamen/stoppen? Sollten wir uns nicht einfach darauf einstellen, dass die Gletscher irgendwann nicht mehr da sind? Und Kann die Schweiz irgendeinen Nutzen daraus ziehen, wenn keine Gletscher mehr da sind oder sind wir alle verlierer?

Sonia Seneviratne: Auch im bestem Fall (Stabilisierung der globalen Erwärmung auf 1.5°C) wird die Mehrheit der Schweizer Gletscher verschwinden, aber wir könnten in diesem Fall einige Gletscher noch retten, zumindest in kleinerer Form. Wenn wir weiterhin zu wenig tun, um die CO2-Emissionen zu reduzieren, werden alle Gletscher der Schweiz langfristig verschwinden. Ausserdem sind die Auswirkungen der Klimaveränderungen nicht auf Gletscherschmelze begrenzt. Mit zunehmender globalen Erwärmung nimmt auch das Risiko von Hitzewellen, Trockenheit und Starkniederschlägen in der Schweiz. Es kann auch Nutzen von einigen Änderungen geben, aber die Auswirkungen sind mehrheitlich negativ, weil unsere Gesellschaft und Infrastruktur nur bedingt darauf vorbereitet sind. Es ist auch die Frage ob die Schweizer gern eine Schweiz ganz ohne Gletscher und Schnee sehen würden?

Klimaveränderungen gab es schon immer. Doch die Veränderung seit Beginn der Industrialisierung läuft viel schneller ab als «üblicherweise» und hat demnach auch viel weitreichendere Konsequenzen. Interpretiere ich dies – stark vereinfacht – richtig? Und ist es denkbar, dass sich das Klima auch bei der aktuellen Veränderung in nützlicher Frist wieder selber einpendelt und abkühlt und welche natürlichen Mechanismen/Szenarien wären möglich? Wenn nein, was bräuchte es und in welcher Zeit, dass wir die schnelle Klimaerwärmung stoppen könnten (ich habe Mühe, dies als realistisch anzusehen, wenn die Welt jetzt schon nahe an den + 1,5 Grad seit Beginn der Industrialisierung steht)?

Mylène Jacquemart: Ja, es ist korrekt, dass die Geschwindigkeit der Veränderungen höchst relevant ist! Wenn sich das Klima langsam verändert, können sich sowohl Ökosysteme – und wir Menschen – an die Veränderungen anpassen. Solange die globalen CO-2 Ausstösse nicht verringert werden, pendelt sich das Klima nicht wieder ein. Wenn wir heute sämtliche CO-2 Ausstösse stoppen würde, würde die Erwärmung noch einige Jahre weitergehen und sich dann wieder stabilisieren. Gemäss Klimamodellen könnte es in der zweiten Hälfte des Jahrhunderts dann wieder zu einer leichten Abkühlung kommen. Weil das System etwas träge ist – also nicht sofort auf Veränderungen reagiert – ist es umso wichtiger, so schnell wie möglich, effektive Klimaschutzmassnahmen einzuleiten.

Es gab schon frühere Kalt-/Warmphasenübergänge. Die letzte grössere vor rund 125000 Jahren, mit noch steilerem Temperaturanstieg als heute (Riss – Würm). Wie ist die Meinung der Klimaforschung dazu?

Mylène Jacquemart: Die natürliche Variabilität in der Erdumlaufbahn (Mylankovic-Zyklen) hat tatsächlich schon in der Vergangenheit zu Kaltphasen (Eiszeiten) und Warmphase (Zwischeneiszeiten) geführt. Allerdings hat sich die Erwärmung auf Grund dieser Variabilität jeweils über viel längere Zeiträume vollzogen als heute. Gemäss dem IPCC Report ist die heutige Geschwindigkeit der Erwärmung grösser als alles, was in den den letzten 2000 Jahren gab, vermutlich sogar viel länger. Selbst wenn es früher bereits schnellere Erwärmungen gegeben haben sollte (diese ganz sicher festzustellen ist wissenschaftlich gar nicht trivial, weil man ja nicht einfach ein Thermometer in die Vergangenheit schicken kann), ist das für unsere Gesellschaft irrelevant. Wir (und unsere Kinder!) sind diejenigen, die heute mit den Konsequenzen (Meeresspiegelanstieg, Dürren, Stürme, Migration, Artensterben etc.) leben müssen.

Würden dir grossen Flüsse (Rhein, Rhone, Aare, ...) im Sommer trocken fallen? Welche Strategien hat der Bund, um mit anhaltenden sommerlichen Trockenzeiten in Zukunft umzugehen? Wird Wasser in Zukunft rationiert werden?

Marit van Tiel: Grosse Flüsse wie der Rhein, die Rhone und die Aare werden nicht nur durch Gletscher, sondern auch durch Niederschläge und Schneeschmelze gespeist. Wenn die Gletscher verschwunden sind, werden die Flüsse weiterhin durch Niederschläge gespeist, auch im Sommer. Im Allgemeinen wird die Schweiz also nicht zu einem wasserarmen Land werden. Aber in trockenen Sommern kann es ohne Gletscher und Schneeschmelze deutlich weniger Wasser geben. Dennoch spielt auch das Grundwasser eine wichtige Rolle bei der Speisung unserer Flüsse. Die geringere Wasserverfügbarkeit in trockenen Sommern wird problematisch sein, und es müssen Vereinbarungen getroffen werden, um zu entscheiden, wofür das Wasser verwendet werden soll. Um mit der Wasserknappheit umzugehen, sind Anpassungsmassnahmen erforderlich, z. B. ein verändertes Reservoirmanagement oder effizientere Bewässerungssysteme.

Wir haben die letzten 12 Monate die 1,5 Grad überschritten. (Gemäss Washington Post 8.Feb 2024) Es ist relativ offensichtlich das wir das Ziel bei weitem verfehlen werden. Welche Erwärmung ist zurzeit realistischer und ab wann werden wir keine Gletscher mehr haben. Habe mal gelesen ab 2050, ist das realistisch?

Ulrike Lohmann: Die Erwärmung im Schweizer Mittelland kann bis 2100 3.3-5.4 Grad Celsius oberhalb von der Durchschnittstemperatur 1981-2010 liegen je nach Szenario. Wenn die Emissionen weiter so steigen wie bisher, ist die obere Grenze wahrscheinlicher. Je nach Szenario könnten die zentral europäischen Gletscher bis 2100 80-90% ihres Volumens relativ zu 2015 verlieren laut dem 6. Zustandsbericht des Weltklimarats. Die kleinen und tiefer gelegenen Gletscher trifft es früher.

Mal angenommen, die Menschheit schafft es nicht, die globale Klimaerwärmung zu stoppen. Wie könnte der worst-case aussehen?

Ulrike Lohmann: Das kommt darauf an, welcher Zeitpunkt betrachtet wird. Je weiter die Klimaerwärmung voranschreitet, desto mehr Extremereignisse wird es geben, also Klimawellen, Dürren, Überschwemmungen, abschmelzende Gletscher und Meeresspiegelanstieg, um einige Auswirkungen zu nennen. Wenn auch Grönland und die Antarktis komplett eisfrei werden, kann der Meeresspiegel um ca. 65 Meter steigen.

Wenn wir net zero erreicht haben, und halten, wie entwickelt sich dann die Temperatur?

Sonia Seneviratne: Die globale mittlere Temperatur wird sich stabilisieren und danach sehr langsam abnehmen, nachdem wir netto-null CO2-Emissionen erreicht haben. Aber falls wir zu lange warten, könnten wir einen Kipppunkt erreichen, an welchem die Temperatur sich nicht mehr stabilisieren lässt. Die Wahrscheinlichkeit, einen solchen Klima-Kipppunkt zu erreichen nimmt mit zunehmender globalen Erwärmung zu. Es wird nicht erwartet, dass wir Kipppunkte vor 1.5°C globalen Erwärmung erreichen. Oberhalb von 1.5°C globalen Erwärmung können wir es aber nicht ausschliessen.

Was braucht es, damit die Politik (global wie bei Corona) Gesetze verabschiedet, die eine Veränderung bewirken könnten? Forschungsergebnisse und Prognosen von Fachleuten werden mehrheitlich nicht wahrgenommen und versanden in der Medienlandschaft genau so wie Kriege und sonstige Katastrophen. Wir scheitern global an unserem Lebensstil, ob arm oder reich. Die wenigen Ausnahmen sind nur ein Tropfen auf den ausgedorrten Boden unserer Felder… Also nochmals die Frage was braucht es damit die Politik endlich reagiert und uns dazu zwingt nachhaltig zu sein. Vielen Dank für ihre Bemühungen

Mylène Jacquemart: Das ist eine gute Frage, die sicher eher an unsere Volksvertreter*innen gestellt werden sollte. Aus Sicht der Wissenschaft besteht unsere Rolle grundsätzlich darin, der Politik die Entscheidungsgrundlagen zu liefern. Wenn diese von der Politik nicht berücksichtigt werden, oder absichtlich verfälscht werden, dann bräuchte es (zumindest in einer direkten Demokratie wie in der Schweiz) eine Antwort des Stimmvolks an der Urne. Hier hilft hoffentlich lokaler Aktivismus, um Leute an die Urne zu bewegen, um die Politik in die richtige Richtung zu schieben.

Mich interessiert die Entwicklung der Eisfläche und des Eisvolumens für die ganze Schweiz ab 1850 bis 2023. Findet man diese Zahlen für die gesamte Eisfläche auf GLAMOS?

Ulrike Lohmann: Ja, GLAMOS hat diese Daten soweit es die Daten gibt. Seit 1850 bis heute hat das Gletschervolumen der Schweizer Gletscher um 65% abgenommen.

Die Schweiz war vor Urzeiten praktisch ganz von Eis bedeckt. Obwohl es keinen von Menschen verursachten CO2-Anstieg gab, schmolzen die gigantischen Eismassen ab und hinterliessen eisfreies Land. Seither stiessen die Restgletscher vor oder zogen sich, wie aktuell erlebt, zurück. Ebenfalls ohne von menschlich verursachtem CO2 beeinflusst zu sein. Alles deutet daraufhin, dass es grosse, periodisch stattfindende Erwärmungen und Abkühlungen des Erdklimas gibt, die gar nichts mit dem Menschen zu tun haben. Endgültige Kipppunkte hat es in der Millionen Jahre alten Erdgeschichte ebenfalls nie gegeben, obwohl die Treibhausgasmenge in der Atmosphäre grossen Schwankungen unterlag. Wie erklären Sie sich also die polit-wissenschaftlich vertretene Konzentration auf CO2 als DAS Klimaagens, das mit allen (Geld)Mitteln gesenkt werden muss? Notabene ein Gas, das Grundlage des Pflanzenwachstums ist und damit auch zu unserer Nahrungsgrundlage beiträgt.

Ulrike Lohmann: Ja, es gibt natürliche Klimaschwankungen auf unterschiedlichen Zeitskalen. Aber die Erhöhung der CO2 Konzentration seit der Industrialisierung ist auf menschliche Aktivitäten zurückzuführen. Die Zustandsberichte des Weltklimarats zeigen den Zusammenhang zwischen der zunehmenden Treibhausgas-Konzentration und der Erwärmung und vielen anderen Veränderungen sehr deutlich. Die Gletscher sind sehr träge und reagieren verzögert. Sie schmelzen jetzt schon rapide ab und die Schmelze wird noch einige Jahrzehnte weiter gehen, selbst wenn wir jetzt die globale Erwärmung stabilisieren.

Warum wurde noch nichts gefunden ( erfunden ) um co2 dauerhaft zu binden

Sonia Seneviratne: Es gibt Methoden um CO2 dauerhaft zu binden (s. zB Firma Climeworks). Aber die Mengen, die sich damit binden lassen, sind im Moment sehr gering. Ausserdem sind die Kosten hoch. In Emissionsszenarien, die im letzten Weltklimaratsbericht zusammengefasst worden sind, sind die CO2-Mengen die mit «Carbon Dioxide Removal» aufgenommen werden (d.h. CO2-Entnahme aus der Atmosphäre mit technologischen Lösungen oder Aufforstung) nur begrenzt. Um «Netto-Null CO2» zu erreichen müssen wir etwa 90% der jetzigen CO2 Emissionen auf null bringen, und es können nur etwa 10% Restemissionen mit solchen Technologien kompensiert werden. Aber wir haben viele Lösungen um unsere CO2-Emissionen stark zu reduzieren: Es sollen mehr erneuerbare Energien (Solarenergie, Windenergie) eingesetzt werden, und die Verwendung von fossilen Energieträgern (Erdöl, Gas, Kohle) vermieden werden. Wenn man auf einem Auto angewiesen ist, dann sollte ein Elektro-Auto statt ein Benzin-Auto verwendet werden. Erdöl- und Gasheizungen sollen auch mit Wärmepumpen ersetzt werden. Es gibt also wohl viele Lösungen um CO2-Emissionen zu vermeiden!

Journalisten und Aktivisten berichten regelmässig von Hitzetoten im Sommer in der Schweiz. Ein Blick in die Todesfallstatistik des BfS zeigt eine andere Realität. Personen über 65 sterben in der kalten Jahreszeit häufiger als im Sommer. Selbst bei statistischer Übersterblichkeit im Sommer erreichen die Zahlen diejenigen im Winter nicht. Meine Frage: Weshalb ist diese statistische Tatsache weder bei Journalisten noch beim BAG ein Thema? Was unternimmt die Öffentlichkeit um der Sterblichkeit im Winter zu begegnen? Wirkt sich die Klimaerwärmung positiv auf die Sterblichkeit im Winter aus?

Mylène Jacquemart: Vielen Dank für ihre Frage. Korrelation ist hier wohl nicht gleich Kausalzusammenhang, auch wenn ich keine Ärztin bin. Es reicht nicht, bloss die jahreszeitlichen Schwankungen zu betrachten, sondern die Gründe hinter der Sterblichkeit müssen betrachtet werden. In den kühlen Wintermonaten sterben die meisten älteren Leute vermutlich nicht, weil sie erfrieren, sondern weil Influenza- oder Coronavirus weiter verbreitet sind. Im Sommer sind es hingegen die direkten Auswirkungen der Hitze auf die Herz-Kreislaufsysteme. Wenn wir die Sterblichkeit im Winter verringern wollen, sind Impfungen wohl as beste Mittel. Ich weiss nicht, ob es Studien dazu gibt, wie Wintertemperaturen Grippeinfektionen beeinflussen.

Sehr geehrte Damen und Herren. Was passiert, wenn die Gletscher im Sommer kein Wasser mehr bringen mit den europäischen Flüssen wie Donau und Rhein? Im letzten Sommer sprudelte der Ablauf des «Morteratsch"- Gletschers in der Trockenheit, Tag und Nacht, als wäre nichts!

Sonia Seneviratne: Kurzfristig führt die Gletscherschmelze zu mehr Abfluss in den Flüssen. Aber das wird sich im Laufe vom Jahrhundert ändern. Es steht folgendes auf der Webseite des National Center for Climate Services: «Im Sommer bewirken höhere Temperaturen, dass die Gletscher rascher abschmelzen. Gewässer, die von ihnen gespeist werden, führen damit mehr Wasser. Dies ist allerdings ein vorübergehendes Phänomen: Bei den kleinen Gletschern nimmt das Schmelzwasser schon heute wieder ab, bei den grossen voraussichtlich spätestens ab 2050.»

 

10vor10, 21.03.2024, 21:50 Uhr ; 

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